Montag, 25. April 2016

Peter Schmitz-Hellwing hat Heimweh noh Kölle

Schon vorletzte Woche begab sich Peter Schmitz-Hellwing mit seiner Band im Hennefer Wirtshaus auf eine musikalische Zeitreise, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Dass ich erst jetzt dazu komme, etwas über das sehr schöne Konzert zu schreiben, tut dem Vergnügen an jenem Abend keinen Abbruch. Das gemütliche Wirtshaus kam mir bekannt vor, und dann erinnerte ich mich. Dort war ich vor Jahren schon einmal gewesen, als Fortuna Köln noch in einer Liga mit Hennef spielte. Nach dem Auswärtsspiel sind wir damals mit der ganzen Fortuna-Bande dort eingekehrt.

Dieser Abend nun stand zwar ebenfalls im Zeichen kölscher Tradition, hatte aber nichts mit Fußball zu tun, sondern mit einem, wenn nicht dem bekanntesten Kölner Krätzchensänger. Gemeint ist natürlich der 1876 geborene Komponist und Liederdichter Willi Ostermann, der der Nachwelt eine Vielzahl von Krätzchen hinterlassen hat. Für Nichtkölner: Krätzchen sind in kölscher Mundart gesungene Heimat- und Karnevalslieder, mal humorig, mal bissig, mal nachdenklich, bemerkenswerten Gegebenheiten verpflichtet, Alltagsbeobachtungen und den Menschen in den Veedeln.

Peter Schmitz-Hellwings Band setzt sich zusammen aus dem (klassischen) Bassisten Gerd Brenner, dem Keyboarder Andreas Orwat und dem Schlagzeuger Udo Kempen. Der kleine Saal war mit rund fünfzig Leuten ausverkauft, und ich dürfte so ziemlich der jüngste im Publikum gewesen sein. Dieses war, zumindest bei den Refrains, recht textsicher, und es entwickelte sich von Beginn an eine Art „Loss mer singe“-Konzert mit dem Augenmerk auf Willi Ostermann.

Es ging los mit Däm Schmitz sing Frau ess durchgebrannt (aus dem Jahrt 1907) und Am dude Jüd (1906). Ich stellte schnell fest, dass ich die meisten der alten Lieder kenne, fast alle sogar. Später folgten unter anderem De Wienanz han 'nen Has em Pott sowie Kutt erop! Kutt erop! Kutt erop! und Jetz hät dat Schmitze Billa, allesamt um die hundert Jahre alte Klassiker, die in Köln längst als Evergreen-Charakter haben. Für mich sind es Lieder mit Herz und Seele, für Herz und Gemüt, und weit entfernt von dem leider heute im Karneval weit verbreiteten Gegröhle, das weder mit Mundart noch kölscher Tradition zu tun hat.

Zwischendurch streute Peter Schmitz-Hellwing immer wieder Hintergrundinformationen und Anekdötchen über Willi Ostermann ein, über alte Kölsche Musik und Namen der Zwanziger und Dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts und über Hintergründe der Entstehung der einzelnen Lieder. So erfuhr ich, dass Willi Ostermann keine Noten lesen konnte und doch als so etwas wie der Erfinder der Kölner Karnevalsmusik gilt. Denn er war der erste, der nicht auf überlieferte Klänge zurückgriff, sondern neben seinen Texten auch eigene Melodien komponierte. Auch thematisierte Peter Schmitz-Hellwing im Kontext der Musik historische Gegebenheiten wie die Einflussnahme der NSDAP auf den Rosenmontag(szug) in den späten Dreißiger Jahren und den Wiederaufbau des Gürzenichs, der guten Kölner Stube, in den Fünfzigern.

Auf der Zielgeraden und als Höhepunkt ging es dann Schlag auf Schlag, und nicht allein nur von Willi Ostermann. Bei seinem Och wat wor dat fröher schön doch en Colonia wurde mir warm ums Herz, bei Karl Berbuers Trizonesien-Song, gleich nach Ende des zweiten Weltkriegs eine Ersatzbundeshymne, erwischte ich mich beim Mitklatschen, und bei Ludwig Sebus' großartigem Luur ens vun Düx noh Kölle geriet ich ins Schwelgen.

Unter großem Applaus gab es dann natürlich Heimweh noh Kölle, auch bekannt als Ich möch zo Foß noh Kölle jon. Dieses Lied, bis heute die inoffizielle Kölner Stadthymne, schrieb Willi Ostermann 1936 im Krankenhaus auf dem Sterbebett, und allein damit hat er sich in Köln unsterblich gemacht. Nach einem „Dreimol Kölle Alaaf!“ folgte als Zugabe Drink doch eine met von den Bläck Fööss, ebenfalls längst ein Klassiker.

Es ist wunderbar, und ich finde es wichtig, dass die alten Stücke nicht vergessen sind. Mehr noch, dass es heute Künstler gibt, die sie noch und wieder spielen, denn diese kleinen Schätze dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Peter Schmitz-Hellwing und Band habe ich jedenfalls nicht zum letzten Mal gesehen.

Atlan - Die geträumte Welt

Mein Atlan-Roman Die geträumte Welt erschien im Februar 2012 in der damals laufenden Atlan-Taschenbuchreihe. Es war der sechste Band, den ich seinerzeit beisteuerte und der erste der Polychora-Trilogie. Den phantastischen Dreiteiler um den physikalischen Begriff des Quantenschaums entwarf Exposéautor Götz Roderer mit beeindruckendem Hintergrundwissen, das mich - ich erinnere mich gut daran - vor eine große Herausforderung stellte. Zur Klärung diverser physikalischer Details habe ich damals mehr als nur einmal mit Götz telefoniert.

Im Mittelpunkt der Handlung steht der unsterbliche Arkonide Atlan, Perry Rhodans bester Freund. Er wird Augenzeuge eines wissenschaftlichen Experiments, das gründlich misslingt. In der Folge gelangt Atlan in eine Welt, die so phantastisch wie bedrohlich für die Existenz der Galaxis ist. Er muss nicht nur einen Rückweg finden, sondern sich der Gefahren des manipulierten Quantenschaums und eines ganz besonderen Gegners erwehren.

Als ich jetzt noch einmal die Zusammenfassung las - zu finden unter: http://www.perrypedia.proc.org/wiki/Quelle:ATB26 -, konnte ich mich an die Handlung kaum noch erinnern. Zu viele andere Manuskripte folgten seither. Am besten in Erinnerung sind mir immer noch die Auftritte der wunderbaren greisen Piratenlady Tipa Riordan und das unheimliche Erscheinen von Glitter. Bei der Durchsicht der Zusammenfassung habe ich richtig Lust bekommen, den Roman mit zeitlichem Abstand noch einmal zu lesen.

Kann ich auch, und sogar in einer Neuausgabe. Denn nun, rund vier Jahre später, wurde die Geschichte wieder aufgelegt, und zwar als Hardcover in der Reihe der sogenannten Grünbände. Das freut mich natürlich, und das Hardcover macht sich gut in dem Regal mit meinen Belegexemplaren.

Sonntag, 24. April 2016

MarburgCon 2016

Mehnert, Rückert, Appel
(c) Anke Brand
Gestern war Tag des Bieres, auf den Tag exakt zu 500 Jahren deutsches Reinheitsgebot, und es war Welttag des Buchs. Das Buch stand gestern auch beim diesjährigen MarburgCon im Mittelpunkt. Bei der gemütlichen, fast familiären Veranstaltung präsentierten wieder zahlreiche Kleinverlage ihr Programm. Sie und die engagierten Kleinverleger sind einer der Gründe, warum ich die Szene mag.

Überhaupt Programm, davon gab es einiges: Eine Menge Lesungen und Vorträge - die ich aber nicht besuchte. Ich stöberte lieber an den Verlagsständen und führte eine Menge netter Gespräche, mit Verlegern und Herausgebern, mit Autoren und alten Bekannten aus der Szene. Der unermüdliche Wilfried A. Hary war ebenso da wie Tausendsassa Walter Appel alias Earl Warren und Zamorra-Autor Manfred H. Rückert, Markus Korb, Michael Buttler und mein Ren Dhark-Kollege Andreas Zwengel, Erik Schreiber, Wolfgang Brand, Gerhard Schäffer und Moderator Dirk van den Boom. Und natürlich die fleißigen Con-Veranstalter.

Ich habe Lesefutter von Andreas Zwengel und Markus Korb erstanden, das ich nach der Lektüre an dieser Stelle besprechen werde. Und ich freue mich, dass ich ein Terranauten-Taschenbuch von Robert Quint gefunden habe, das mir fehlte. Für die, die es nicht wissen: Bei Robert Quint handelt es sich neben Thomas Ziegler um ein weiteres Autorenpseudonym des Kölner Schriftstellers Rainer Zubeil.

Samstag, 23. April 2016

Malte Schulz Sembten 1965 - 2016

Am Vorabend des MarburgCons erfuhr ich, dass Malte Schulz Sembten gestorben ist. Eine erschreckende Vorstellung, denn Malte war gerade 50 Jahre alt, viel zu jung also, um von der künstlerischen Bühne und der Bühne des Lebens abzutreten. Die Gedankenassoziation zum anstehenden Con war sofort da, denn ich wusste, dass Malte gebürtiger Marburger war.

Persönlich begegnet sind wir uns nie. Ich kannte Malte von seinen Fußabdrücken in der deutschen Phantastik-Szene. Schon vor vielen Jahren fielen mir seine Zeichnungen und Illustrationen auf, anfangs im legendären Berliner Horrormagazin "Nachtschatten". Doch Malte war nicht nur als Graphiker tätig, sondern mehr noch als Autor, vorzugsweise als Verfasser von Kurzgeschichten. Sie erschienen in Magazinen, Anthologien und Storysammlungen. 1997 wurde Malte Schulz Sembten mit dem Kurd Lasswitz Preis ausgezeichnet.

Freitag, 22. April 2016

Tyrannosaurus Rex

Ich kann stolz und zufrieden verkünden, dass TIBOR 9 fertig ist. Nicht das Buch, sondern das Romanmanuskript. Nach einer letzten Durchsicht habe ich es vergangene Nacht samt Klappentext an den Verleger geschickt. Am Rande der Hölle ist, entsprechend der Comicvorlage, ein recht kurzes Abenteuer geworden.

Noch immer ist Tibor mit dem Forscher Professor Dobbs bei einer Expedition hinter den toten Sümpfen unterwegs. Dabei muss sich der Herr des Dschungels nicht nur mit dem übertriebenen Ehrgeiz des Wissenschaftlers herumschlagen, sondern auch mit Pygmäen und Kannibalen, mit den eingeborenen Tombos und einer urzeitlichen Bestie. Das Titelbildmotiv, das unten zu sehen ist, lieferte Stoff für eine ziemlich intensive Romanszene.

Für die Adaption fanden als Vorlage folgende Piccolos Verwendung: 121 Bestrafte Ungeduld, 122 Ist der Vorsprung noch aufzuholen?, 123 Gefährliche Flussfahrt, 124 Die Rache der Pygmäen, 125 Am Rande der Hölle, 126 Eine große Enttäuschung, 127 Aufschlussreiche Spuren, 128 Verlorenes Vertrauen, 129 Unerwünschte Hilfe, 130 Die Höhle des Schweigens, 131 Späte Einsicht, 132 Sturz in den Tod, 133 Im Dickicht verborgen.



Dienstag, 19. April 2016

Einsatz auf Blue Star

Ren Dhark-Belegexempare sind eingetroffen, das freut mich jedes Mal aufs neue. Der neue Band von „Weg ins Weltall“ ist just erschienen. Das Buch, das ich gemeinsam mit Nina Morawietz und Jan Gardemann geschrieben habe, trägt den Titel Einsatz auf Blue Star. Das Titelbild von Ralph Voltz zeigt zwei GSO-Agenten im Einsatz.

Band 61 schlägt ein neues Kapitel in der Saga um den Weltraumforscher Ren Dhark und seinen legendären Ringraumer, die POINT OF, auf. Denn in diesem Roman beginnt ein neuer Zyklus mit einem ganz neuen Handlungsabschnitt, was für Interessierte die beste Möglichkeit bietet, jetzt in die Serie einzusteigen.

In meinem Romanteil befasse ich mich mit dem parapsychisch begabten Multitalent Chris Nev, einem sympathischen Burschen, der seinen Platz in der Gesellschaft sucht. Chris verlässt die Begabtenschule auf dem Mond, um sich auf der Kolonialwelt Xing neuen Herausforderungen zu stellen. Nachdem der junge Mutant lange Zeit nicht in der Handlung aufgetaucht ist, war es eine schöne Aufgabe, die Figur wieder einzuführen – und ich glaube, das merkt man der Geschichte auch an. In den nächsten Ausgaben wird übrigens nichts von mir zu finden sein, da ich eine Ren Dhark-Pause einlege.

Montag, 18. April 2016

Thomas Ziegler: Bekenntnisse eines Ökoterroristen

Thomas Ziegler schrieb Science Fiction, Fantasy und Kriminalromane. In erstgenanntem Genre war er im deutschsprachigen Raum einer der herausragenden Autoren, in den beiden anderen mindestens einer der guten. Mit BEKENNTNISSE EINES ÖKOTERRORISTEN AUS DEM JAHRE 1988 – so der vollständige Titel des Werkes aus dem Jahr 1987 – begab sich Ziegler auf den anarchistischen Boden der Polit-Satire, und da gleich in die Vollen.

»Militante Heimwerker, sägende Gummizellen und andere Freizeitanarchos aus der Ökoszene kämpfen mit Molotow-Cocktails und Sprengsätzen gegen den Atomstaat. Ihr Motto: Schweine ins Weltall. Ihr Operationsgebiet: Wackersdorf ist überall. Ihr Programm: Alle Tage Sabo-Tage. Jeder Tag ein Anschlag ist längst zu wenig. Statt aneinander vorbeizureden wird aneinander vorbeigebombt. Fleißig mit dabei ist Tommy Z.«

So verrät es uns der Klappentext. Tommy Z. ist übrigens auch als Autor angegeben, nicht Thomas Ziegler. So ganz will sich mir der Sinn nicht erschließen. Passte Tommy Z. besser zu der abgedrehten Geschichte, als es der bekannte Name Thomas Ziegler getan hätte? Zumal der spinnerte und sympathisch rüberkommende Protagonist Tommy Z. heißt. Seine wahre Identität verbergen wollte Ziegler jedenfalls nicht, sie wird allzu deutlich in der Autorenbeschreibung hervorgehoben.

Von einem Roman zu sprechen, weigere ich mich übrigens. So etwas bezeichnet man wohl als Novelle. Denn so sperrig der Titel, so dünn das Büchlein. Das schmalbrüstige Goldmann-Bändchen bringt es auf kaum mehr als 100 Seiten. Das ist schon ziemlich anarchistisch, ebenso wie die Titelbildgestaltung, die jeder Beschreibung spottet: eine handgekritzelte Schreibmaschine mit bunten Farben. Ich vermute, damit wollte der Verlag Titel und Thema gerecht werden. Das hätte man sicher auch anders lösen können, zumindest weniger abschreckend. In der Buchhandlung wäre mir das Ding damals jedenfalls nicht aufgefallen. Ist es offensichtlich ja auch nicht.

Ich habe lange nach dem Büchlein gesucht. Es war einfach nicht zu bekommen. Als ich vor vielen Jahren einmal im Arbeitszimmer von Rainer Zubeil alias Thomas Ziegler alias Tommy Z. saß, kamen Rainer und ich auch auf dieses Thema zu sprechen. Er konnte mir damals kein Exemplar vermachen, weil er selbst nur ein einziges besaß. Ein alter Fandom-Bekannter aus dem Saarland hat es mir kürzlich freundlicherweise zukommen lassen. Auf diesem Weg noch einmal »Vielen Dank!«, lieber Ralf.

Nach dem Tschernobyl-Freitag ist alles anders, auch in der Kölner Südstadt. Tommy Z., der zum ersten Mal in seinem Leben eine Wohnung gemietet hat, hat wie viele andere den Kopf voller anarchistischer Gedanken. Gestalt annehmen lässt er sie jedoch nicht, denn eigentlich hat er ganz andere, wesentlich existenziellere Dinge im Kopf, nämlich seine Cognac-Flasche, das religiös bedingte Schwarzfahren mit der KVB und wie er das nächste vom Arbeitsamt aufs Auge gedrückte Jobangebot abbiegen kann. Ganz besonders aber seinen mystischen Sack voll Geld.

So durchgeknallt wie die anderen ist Tommy Z. längst nicht. Er macht nur widerstrebend mit bei den Aktionen des Commando Carlo Chaos. Das setzt sich zusammen aus seiner durchgeknallten, amphetaminsüchtigen Freundin Linda, dem abstinenten Alkoholiker »Haste mal 'nen Heiermann?«-Apo-Shorty, der von Visionen heimgesucht wird und am liebsten alles und jeden in die Luft bomben möchte, Cora, deren Hund grinsen und telefonieren kann, und ein paar weiteren skurrilen Gestalten, wie man sie aus Zieglers Oeuvre kennt. Gemeinsam mit ihnen geht Tommy Z. Baumaschinen eines Wackersdorf-Lieferanten in die Luft jagen, Strommasten absägen und Horden von Beagles aus Otties Tier-KZ befreien. Auch Papst Jupp von der Aktion Karneval am Strommast, Sweet Sixteen von den Revolutionären Gartenzwergen und Professor Gurke von der Sägenden Zelle Herne Zwo sind dabei.

»In rasender Eile knacken wir die Zwinger mit der Beißzange, und die Beagles geraten vollends außer Rand und Band. Überall schlackernde lange Ohren, treue braune Hundeaugen, hin- und herdüsende Geschosse auf vier Beinen. … Sie kläffen und jaulen, springen auf uns herum, lecken uns ab und treiben sonstigen Unfug, der meiner Hundeliebe nicht gerade dienlich ist.«

Ziegler zieht alle Register, um den Staat und die Politmafia als ebensolche darzustellen und die bombenden und sägenden Anarchos als Bande gutmeinender Deppen zu karikieren. Natürlich wird kräftig gegen die damalige Polit-Prominenz ausgeteilt, gegen Kanzler Kohl aus dem Gemüsefeld, gegen Waldschrat Kiechle, gegen Zimmermann, Riesenhuber, Blüm und Bangemann, gegen den Minister für Innerdeutsches und Außersinnliches Windelen und den begnadeten Rückentwicklungsminister Warnke. Auch gleich gegen das gesamte Justizministerium, das nach der Tschernobyl-Katastrophe einen Gesetzesentwurf gegen die illegale Einreise sowjetischer Atome plant. Das Commando Carlo Chaos, die Revolutionären Gartenzwerge und all die anderen Freizeit-Anarcho-Fuzzies kommen kein Deut besser weg. Das ist – wenngleich es in Teilen längst den damals aktuellen Bezug verloren hat – vollkommen überdreht, mal komisch, zuweilen grotesk und gelegentlich zu dick aufgetragen – sofern man das von einer Polit-Satire wie dieser sagen kann, aber stets im passenden, treffenden Tonfall gehalten. Ziegler war eben ein Meister des Wortes, egal in welchem Genre er sich gerade tummelte.

Das wird besonders auf den letzten fünf Seiten deutlich, als es einen drastischen sprachlichen Bruch in der Erzählweise gibt. Aus der Kapriolen schlagenden Satire wird unerwartet eine Tragödie, die das amüsierte Grinsen aus dem Gesicht vertreibt und Betroffenheit bewirkt, wo man längst mit einem blödelnden Abschluss gerechnet hatte. Genau hier, ganz am Schluss, in dieser kurzen Passage, hat die Geschichte ihre stärksten, ihre eindringlichsten Momente und zeigt statt des flapsigen Sarkasten Tommy Z. den stilsicheren Literaten Thomas Ziegler.

Sehr sympathisch war mir persönlich beim Lesen natürlich das räumliche Umfeld mit Orten, die in der Handlung explizit genannt werden: Die Südstadt, in der Tommy Z. in der Geschichte vorzugsweise unterwegs ist, trage ja auch ich im Herzen. Der Chlodwigplatz ist für mich einer der zentralen und die Stadt definierenden Orte Köln. Mit dem Severinstor verbinden mich tausend Erinnerungen, Gefühle und Anekdoten. In der Opera habe ich während meiner Oberstufenzeit mehr als nur einen Abend verbracht. Und im Filos habe ich gelegentlich mit Rainer Zubeil alias Thomas Ziegler alias Tommy Z. gesessen. Kein Wunder, dass Rainer all diese Orte in die Geschichte hat einfließen lassen, schließlich lebte er bis zu seinem Tod in der Südstadt, und er lebte gerne dort.

Aktuell ist das abgedrehte Literaturstückchen übrigens als E-Book bei Amazon erhältlich, wie ich mir habe sagen lassen. Anarchistisches Vergnügen mit Tommy Z. und den wahnsinnigen Sägemeistern aus der Kölner Südstadt!

Goldmann Verlag, München, 1987
Taschenbuch, ca. 110 Seiten
DM 7,80
ISBN 3-442-21008-9

Sonntag, 17. April 2016

Böser Zwilling

Und schon wieder ein schönes Taschenbuch aus meiner Feder. Die Belegexemplare habe ich mir bei einem Verlagsbesuch persönlich abgeholt. Böser Zwilling erschien soeben in der Serie Raumschiff Promet – Von Stern zu Stern, also der Neuschreibung der klassischen Serie, inoffiziell auch unter Raumschiff Promet Neo laufend. Worum sich die Handlung dreht, verrät der Klappentext:

»Peet Orell liegt im Koma, während in der Promet ein Phantom sein Unwesen treibt. Der Reihe nach schaltet der Unheimliche die Besatzungsmitglieder aus. Der Schattenmann ist nicht aufzuhalten, die Promet scheint verloren.«

Insgesamt erschienen sogar gleich drei Titel auf einen Schlag: Band 11 Zegastos Kinder stammt von meinem Ren Dhark-Kollegen Ben B. Black, Band 12 Fremde Seelen von Michael Edelbrock und mein oben genannter Roman ist Band 13. Damit liegen die drei Ausgaben rechtzeitig für den MarburgCon und die Intercomic-Messe vor.

Die Bände 14 bis 16 (Arbeitstitel: Sternentod, Das Ende der Promet und Tötet Harry T. Orell) habe ich übrigens schon vor geraumer Zeit geschrieben, und derzeit arbeite ich an Nummer 17 und 18. Man sieht, mit der Promet geht es also weiter munter voran.

Montag, 11. April 2016

Prominenter Gastautor schreibt NICK 7

Da Peter Hopf es nun auf seiner Verlagsseite verraten hat, kann ich es auch an dieser Stelle ausplaudern. Ich lege bei Nick eine kleine Pause ein – denn Nick 7 wird von einem Gastautor geschrieben. Das ist schon seit längerem geplant, und nun klappt es endlich. Immerhin ist der Autor ziemlich beschäftigt.

Um wen es sich handelt, wird noch nicht verraten. Ich kann aber sagen, dass ich von besagtem Herrn schon so manchen Roman gelesen habe, sowohl unter seinem richtigen Namen als auch unter Pseudonym. Nein, keiner davon stand in irgendeinem Zusammenhang mit Hansrudi Wäscher. Es darf gern spekuliert werden, um wen es sich bei unserem Prominenten im Sack handelt.

Doch zunächst erscheint im Mai mein Nick 6 namens Gefährlicher Ehrgeiz. Vielleicht wird er sogar bis zur Intercomic-Messe in Köln fertig, das steht aber noch nicht fest. Der Gastroman des Autors, dessen Werke ich wirklich gern lese, folgt dann im Herbst, und Band 8 wird wieder wie gewohnt aus meiner Feder stammen.

Sonntag, 10. April 2016

Falk mit alternativem Ende

Ich habe die Arbeit am fünften Falk-Roman abgeschlossen. Die sehr umfangreiche Geschichte schildert die Abenteuer um den Großen Wolf, einen maskierten Räuberhauptmann, der mit seiner Bande Angst und Schrecken verbreitet. Falk und der Gaukler Bingo bekommen es mit dem geheimnisvollen Räuber zu tun, als sie durch Zufall in den Besitz eines wertvollen Edelsteins gelangen, der aus einem ruchlosen Kirchenraub stammt. Falks Bemühungen, den Unbekannten zu enttarnen, scheinen ein ums andere Mal zum scheitern verurteilt.

Der Roman hat alles, was ein spannendes Abenteuer aus dem Mittelalter braucht: den furchtlosen Ritter ohne Fehl und Tadel, eine prachtvolle Burg, ein edles Burgfräulein, Ränke und Intrigen, unterirdische Geheimgänge, einen versteckten Schatz – und einen finsteren Gegner, der es geschickt versteht, seine Identität vor aller Welt zu verbergen. Dazu kommt das reizvolle Szenario einer verschneiten Winterlandschaft, vor deren Hintergrund sich die farbenprächtige Geschichte entfaltet.

Falk 5 wartet dabei mit einem Novum auf. Denn Parallel zum eigentlichen Verlauf der Handlung hat Hansrudi Wäscher damals ein alternatives Ende entworfen, das im Vergleich sogar noch mit einer weiteren dicken Überraschung aufwartet, die ich an dieser Stelle natürlich nicht verrate. Jedenfalls habe ich auch das alternative Ende in Romanform gebracht. Es wird, gewissermaßen als kleines Schmankerl, ebenfalls im Buch enthalten sein.

Für Falk 5 dienten folgende Piccolo-Comics als Vorlage: 90 Von Wölfen umringt, 91 Nächtlicher Aufruhr, 92 Fortgeritten, 93 Kurz vor der Hütte, 94 Vom Schnee überrascht, 95 Freund oder Feind, 96 Der Gehetzte, 97 Der Hinterhalt an der Weggabelung, 98 Der Galgen droht, 99 Im Fieber gesprochen, Jubiläumsband 100 Ein Hinweis in der Mühle, 101 Trotz Knebel und Fesseln, 102 Im „Roten Ochsen“, 103 Fehlgeschlagen, 104 Bingos Pechsträhne, 105 Retter wider Willen, 106 Im Schlupfwinkel der Bande, 107 Der Große Wolf, 108 Alle Spuren verwischt, 109 Der Tod lauert im Rücken, 110 Jagd in der Nacht, 111 Ein Schlupfloch weniger, 112 Trauriges Wiedersehen, 113 Bewaffnet, 114 Von Verzweiflung übermannt, 115 Abgelenkt, 116 Eine unerwartete Begegnung, 117 Unter der alten Eiche, 118 In die Falle gegangen, 119 Ein Edelmann, 120 Die Entscheidung naht, 121 In der Schatzkammer des Großen Wolfes, 122 Verläuft alles nach Plan, 123 Das Ende des Schreckens.

Samstag, 9. April 2016

George R.R. Martin: Armageddon Rock

Im Jahr 1971 sind die Nazgûl am Zenit ihrer Karriere angelangt, als deren charismatischem Sänger Patrick Henry Hobbins bei einem Open Air Konzert vor 60.000 Zuschauern auf offener Bühne von einem Scharfschützen der Schädel weggeblasen wird. In jener Nacht stirbt nicht nur der »Hobbit«, wie Hobbins genannt wird, sondern die gesamte Band, eine Legende. Der Mörder wird nie gefunden.

Die Romanhandlung von Armageddon Rock setzt zehn Jahre später ein, als es zu einer weiteren Bluttat kommt. Jamie Lynch, ehemaliger Promoter und Manager der Band, wird am Jahrestag von Hobbins' Tod in seinem Haus bestialisch ermordet. Lynch liegt auf einem alten Plakat der Nazgûl, und im Hintergrund läuft eine Platte der Band, »Music To Wake The Dead«, während jemand ihm das Herz aus dem Leib reißt. In dieser oder ähnlicher Form schon gehört, möchte man meinen, doch weit gefehlt, denn George R.R. Martins Roman stammt aus dem Jahr 1983 und hat nichts von seiner Faszination verloren. Zudem entwickelt sich, was anfängt wie ein Krimi oder ein Psycho-Thriller, schnell zu einem Parforceritt, der nicht nur in die amerikanische Geschichte der Sechziger und Siebziger Jahre eintaucht, sondern vor allem knietief in die Musik jener Ära. Ich habe die Neuausgabe des Berliner Golkonda-Verlags als willkommenen Anlass genommen, das Buch nach langer Zeit wieder einmal zu lesen und war, soviel vorweg, nicht weniger begeistert als vor Jahren beim ersten oder zweiten Lesen.

Im Verlauf der Handlung wird, ähnlich wie in Twin Peaks, die Suche nach dem Mörder zur Nebensache, und fast von Beginn an hatte ich das Gefühl, ein zwischen zwei Buchdeckel gepacktes Rockalbum zu hören, das mich mit jeder weiteren Seite mehr in seinen Bann schlug. In der bei FanPro erschienenen deutschen Erstausgabe aus dem Jahr 1986 lautete der Untertitel des Romans passenderweise »Ein Langspiel-Roman in Stereo«, und für Stephen King ist Armageddon Rock »der beste Roman über die Popmusik-Kultur der 60er Jahre« überhaupt.

FanPro-Ausgabe 1986
Der Schriftsteller Sandie Blair, einst Journalist des Untergrundmagazins Hedgehog und längst Buchautor, geht der Sache nach, um einen Artikel über Lynchs Tod zu schreiben. Die Suche nach den Hintergründen wird für ihn eine Kreuzfahrt durch mehrere Bundesstaaten, bei der er in die Vergangenheit eintaucht, alten Freunden aus seiner Studienzeit wiederbegegnet und sich mit seinen früheren Idealen konfrontiert sieht. Dabei gelingt es Martin, ohne belehrend zu wirken oder Partei zu ergreifen, in düsteren, atmosphärisch dichten Bildern und Visionen, die Blair heimsuchen, mit der gewalttätigen Reaktion auf die Gegenkultur der Nixon-Ära abzurechnen. Dies geschieht eindringlich und doch mehr oder weniger en passant, ohne dabei den Handlungsfluss der eigentlichen Geschichte zu unterbrechen. Was wie ein amerikanisches Thema erscheint – Nixon, Vietnam, Hippies und Straßenkämpfe – ist für einen deutschen Leser nebensächlich, weil es Martin eben gelingt, das Trauma, auch Sandy Blairs Trauma, in seine Grundgeschichte einzuweben, ohne diese dabei zu vernachlässigen. Blair muss sich die Frage stellen, was geblieben ist von den Idealen der Flower-Power-Bewegung, was sie bewirkt und erreicht hat und wie viel davon noch in ihm selbst steckt.

Bei seiner Selbstfindungstour und der Jagd nach den Hintergründen des offensichtlichen Ritualmordes an Lynch taucht Blair immer tiefer in die Musikszene und in das Umfeld der Nazgûl ein, die sich wiedervereint anschicken, einen zweiten Triumphzug zu starten. Hierbei kommt das phantastische Element zum tragen, das sich sparsam eingesetzt wie ein unterschwelliger Faden durch den Roman zieht, als schleichendes Mysterium unheimlicher wirkt als derbe Effekte und aus Armageddon Rock tatsächlich – auch! – einen Phantastik- und Horrorroman macht. Denn protegiert werden die Musiker auf ihrem Weg zu alter Herrlichkeit von dem undurchsichtigen Edan Morse, einer apokalyptisch angelegten Figur, die übernatürliche Kräfte heraufbeschwört, um die Nazgûl wieder an die Spitze zu bringen. Morse wirkt mit Akten blutiger Selbstverstümmelung darauf hin, Patrick Henry Hobbins auferstehen zu lassen und der vor einer Dekade gescheiterten Revolution der Gegenkultur mit Hilfe der Nazgûl doch noch zum Sieg zu verhelfen, indem er Armageddon heraufbeschwört, die letzte Schlacht zwischen Gut und Böse. Doch so, wie sie alle Gefangene der Umstände sind, Sandy Blair ebenso wie die Musiker, ist es auch der von seinen eigenen Dämonen getriebene Edan Morse. Er, der scheinbare Strippenzieher, durchschaut die düstere Wahrheit so wenig wie alle anderen. Unterdessen drängt sich Blair die Frage auf, wer hier eigentlich Gut und wer Böse ist, was Schwarz und was Weiß.

Als er die Wahrheit zu erkennen glaubt, scheint es nur einen Ausweg zu geben. Die Geschichte muss sich wiederholen. Der neue Hobbins darf den Armageddon Rag nicht bis zum Ende singen, wenn es nicht zur Apokalypse kommen soll. Ein Funken Zweifel jedoch bleibt und warnt Blair davor, dass alles vielleicht ganz anders ist, als es zu sein scheint.

In der Tat ist der Roman purer Rock'n'Roll, doch er ist vor allem eins, nämlich eine extrem spannende Geschichte mit finsteren Abgründen. Und zudem mit vielen Gefühlen: mit düsteren Gefühlen der Trauer, herzzerreißenden Gefühlen der Sorge um einen alten Freund, tröstenden Gefühlen der Hoffnung und der Liebe. Man beobachtet Sandy Blairs Rücktransformation von einem an sich selbst zweifelnden und in den Mechanismen des Marktes verankerten Buchautor zu dem Idealisten, der er einst war. Zugleich demonstriert George R.R. Martin die Kraft, die Macht und die Magie einer Musik, die etwas zu sagen hatte, einer Musik, die mit ihrem Herz und ihrer Seele in der Lage war, die Jugend zu berühren und in den Köpfen etwas auszulösen. Auch das ist – in meinen Augen jedenfalls – eine Aufgabe guter und ehrlicher Rockmusik, womit sie diametral dasteht zu dem ganzen Schmonzes, der einem heute aus dem Radio entgegendudelt, und zu den sich endlos selbst wiederholenden Sangesklonen in den Hitlisten.

Martin schreibt wortreich, sehr spannend und sehr dicht, so dicht, dass ich mich bei mehr als nur einer Szene direkt in die Handlung hineinversetzt fühlte und den Eindruck hatte, die Nazgûl vor mir zu stehen zu sehen und ihre Musik, die infernalische Musik, um die Toten zu wecken, im Ohr hörte. Martin nimmt den Leser gefangen, ohne ihn bei seiner wilden Fahrt quer durch die Vereinigten Staaten, bei seinem Road Movie, bei seinem Langspielplatte und Rockkonzert gewordenen Literaturklassiker wieder loszulassen, ehe der Leser die Auflösung der Geschichte und den einzigen Ausgang aus dem apokalyptischen Drama kennt.

In einer Zeit, in der jeder über »Das Lied von Eis und Feuer« redet und sich »Game of Thrones« anschaut, kann und will ich George R.R. Martins wirkliches Meisterwerk nur wärmstens empfehlen – und ein Meisterwerk ist der Armageddon Rock. Ich liebe dieses Buch, es gehört zu meinen All Time Favourites, und zweifellos habe ich es nicht zum letzten Mal gelesen.

Golkonda Verlag, Berlin, 2014
Klappenbroschur, ca. 400 Seiten
Euro 16,90
ISBN 978-3-944720-35-7

Freitag, 8. April 2016

Gogul kehrt zurück

Endlich, endlich, endlich habe ich die Schreibarbeit an einem weiteren REN DHARK-Sonderband für die Unitall-Reihe abgeschlossen, und das war diesmal wirklich ein hartes Stück Arbeit. Ich glaube, so schwer ist es mir noch nie gefallen, einen Dhark-Roman fertigzustellen.

Das liegt zum einen an persönlichen Dingen und zum anderen an einem dicken, fetten Lapsus, der mir in dem Manuskript unterlaufen ist. Denn dieser Fehler, so klein er im Grunde war, hatte Auswirkungen auf den gesamten Fortgang der Handlung und den logischen Ablauf der Geschichte. Sprich: der Roman funktionierte vorne und hinten nicht mehr. Dummerweise fiel mir das erst ganz am Ende auf, wodurch ich zu umfangreichen und ziemlich zeitaufwendigen Korrekturen und streckenweise sogar zum Umschreiben gezwungen war. Aus diesem Grund war es zuletzt auch so ruhig in meinem Blog.

Letztendlich ist das Missgeschick ausgemerzt, doch es hat mich nicht nur Zeit und Mehrarbeit gekostet, sondern eine Menge Nerven. Zwischendurch hatte ich sogar einmal das Gefühl, den Roman richtiggehend zu hassen, dabei kann der arme Kerl doch nichts dafür. Inzwischen habe ich mich halbwegs mit ihm versöhnt.

Wie es die Überschrift dieses Post verrät, taucht Gogul wieder auf. Wobei das untertrieben ist, denn er taucht nicht nur wieder auf, sondern spielt die zentrale Rolle in der Geschichte. Wer meinen Sonderband 27 Verborgene Erkenntnis gelesen hat, wird sich an den Schattenlosen und seine Flugzelle erinnern. Diejenigen, die mehr über Gogul und seine Vergangenheit wissen wollten, werden auf ihre Kosten kommen. Der Roman trägt den – zumindest vorläufigen – Titel Goguls Armee.

Donnerstag, 7. April 2016

Über den Eigelstein ins Agnesviertel

Ein erster Sonnentag in Köln, da konnte ich gar nicht anders, als ein wenig durch die Stadt zu spazieren. Ich hatte richtig Lust, mir das am Himmel stehende gelbe Ding auf den Pelz brennen zu lassen. Von »brennen« konnte allerdings nur bedingt die Rede sein. Solange die Sonne sichtbar im Himmel stand, war es angenehm warm, und ich konnte die Jacke schultern. Sobald sich jedoch Wolken vor unser Zentralgestirn schoben, wurde es gleich empfindlich kälter. Daher also: Jacke aus, Jacke an, Jacke wieder aus und so weiter.
 
Ich war lange nicht mehr im Agnesviertel, fiel mir ein, also schlenderte ich, vom Dom kommend, über den neugestalteten Breslauer Platz und anschließend den Eigelstein entlang. Noch ist dort die Gaffel-Brauerei ansässig, doch die zieht bald an einen anderen Standort, und das Gelände wird frei. Es hat sich, so las ich dieser Tage, bereits irgendeine Gruppe unter den Nagel gerissen. Ich gehe davon aus, dass auf dem Areal ein weiteres Hotel entsteht. Noch mehr Hotels braucht Köln ja wesentlich dringender als bezahlbare Wohnungen.
 
Am vorderen Teil der urkölschen Meile Eigelstein standen ein paar leichte Mädels in der Tür – schwere Junge habe ich hier schon lange keine mehr gesehen. Der Kiosk, den mal ein Bekannter von mir, ein ehemaliger Bauhaus-Kollege, betrieb, ist längst von einem Türken übernommen worden. Vor dem Weinhaus Vogel standen die Män mit ihrem Kölsch in der Hand, einheimische Schnäuzer und bunte Touristen. Am Kölsche Boor ging ich vorbei, ohne dass mir überhaupt irgendwer auffiel – was mir wiederum erst später auffiel. Unter dem Eigelsteintor schritt ich beinahe ergriffen hindurch, so wie immer, wenn ich durch eins der vier erhaltenen Stadttore gehe. Irgendwie liegt da immer besonders viel Stadtgeschichte in der Luft. Zumindest bilde ich mir das ein.
 
Dort, wo der Eigelstein zu Ende ist und man in früheren Zeit die Stadt verließ, empfing mich der Ebertplatz mit seiner Hektik, seinem Verkehrslärm, seiner unansehnlichen Optik und seiner seit Jahren defekten Rolltreppe. Schade, dass dort nichts zum Verweilen einlädt, gleichwohl im Rat seit Jahren Umgestaltungspläne mit mehr Grün und ebenerdiger Fußgängerführung gewälzt werden. Ich lief die Treppe hinunter, quer über den kahlen Platz mit seinen vermutlich seit Jahrzehnten leerstehenden Pavillons und den Zufluchtsnischen für Obdachlose, mit den trostlosen, verwinkelten Gängen und dem Brunnen, den ich schon als Kind hässlich fand, und auf der anderen Seite die Stufen wieder hinauf.
 
Vor mir lag die Neusser Straße, das Agnesviertel. Auch dort geht es laut und hektisch zu, doch es ist der Puls des Lebens, der Menschen, die im Veedel wohnen und einkaufen, nicht der Lärm des Verkehrs. Ich schlenderte die Neusser hinunter Richtung Agneskirche, die dem Viertel einst seinen Namen verlieh, und dachte wie gewöhnlich an diesem Ort an meine vor zwölf Jahren verstorbene Oma Agnes. Die Sonne schien wieder, ungetrübt von Wolken, und meine Jacke hing über der Schulter. Nach hundertfünfzig Metern schallte mir eine Stimme entgegen, mein Name wurde gerufen. Ich entdeckte einen grinsenden Uwe, der sich an einem Tisch vor dem Balthasar flegelte und mir hektisch zuwinkte.
 
Schönes Zusammentreffen, ja, wirklich! Uwe hatte ich lange nicht gesehen. Ich ließ mich an seinem Tisch nieder und bestellte ein Kölsch. Uwe ist Gastronom, Musiker und Karnevalsjeck in Personalunion. Wir badeten in der Sonne und plauderten übers Griechenmarktviertel, aus dem wir uns kennen, übers Reissdorf Brauhaus, in dem er mal gearbeitet hat, und über diesen und jenen gemeinsamen Bekannten. Wir man das nun mal so macht. Da das Auge bekanntlich mitisst, genoss ich bei unserem Verzällchen einen kulinarischen Leckerbissen: zu meiner Rechten erhob sich das Eigelsteintor in seiner historischen Bedeutsamkeit, ohne dass ich den kahlen Platz davor zu Gesicht bekam, und zu meiner Linken wuchs die altehrwürdige Agneskirche dem Himmel entgegen.
 
Erst nach einer Viertelstunde bekam ich mit, dass aus dem Balthasar Musik auf die Straße drang. Als ich bewusst hinhörte, erkannte ich die Stimme auf Anhieb. Sie gehörte Holger Landrock, in Köln auch bekannt als »The Voice of Joe Cocker«. Denn Holgers Röhre klingt verdammt nach Joe Cocker. Mit seiner One Man Show, bei der kaum eine Minute ohne Zigarette in der Hand dasitzt, gibt er Rock, Blues, Country und Oldies zum besten, und bei allem klingt er wie Cocker. Zeit, um Helene Fischer hochzunehmen, bleibt dabei auch noch, wenn er vergnügt Hackevoll durch die Nacht anstimmt. In unserem Veedel von den Bläck Fööss sollte er sich aber lieber verkneifen, Creedence kriegt er ungleich besser hin.
 
In einer Pause zwischen zwei Liedern ging ich hinein und begrüßte Holger, den ich ebenfalls aus dem Griechenviertel kenne, ursprünglich speziell aus der Griechenschänke. Dort hing vor Jahren ein Plakat im Eingang mit einer Konzertankündigung: LANDROCK LIVE. Ich kenne viele Spielarten der Rockmusik, doch was Landrock sein sollte, wollte sich mir nicht erschließen. Bis ich dann erfuhr, dass der Mann so heißt.
 
Ich verabschiedete mich und begab mich ins schräg gegenüberliegende Stüsser, ein alteingesessenes Brauhaus mit klangvollem Namen in der ganzen Stadt. Dort sitzen immer noch die Lück aus dem Agnesveedel, vermischt mit ein paar grauhaarigen Intellektuellen und dem einen oder anderen gealterten Künstler. Ich kondolierte bei Ingrid Stüsser, deren Mann Peter vor kurzem verstorben ist, und ertappte mich dabei, in die Ecke zu schielen, in der P3, wie Peter Stüsser meist genannt wurde, zu sitzen pflegte. So etwas gehört zu einem unbeschwerten Spaziergehtag wohl auch dazu.
 
Als ich etwas später ins Balthasar zurückkehrte, spielte Holger Landrock immer noch. Selbst wenn Holger nur ein Dutzend Zuhörer hat, kann er nicht aufhören. Uwe holte indessen nach, was er zuvor versäumt hatte. Er drückte mir einen Flyer in die Hand für eine Blues und Blues Rock Band namens »Daniel Klaus and the Dukes«, die in Kürze zwei Auftritte in Köln hat, im Söckchen und im Stüsser. Dass Uwe selbst einer der drei Musiker auf dem Bild ist, fiel mir beim besten Willen nicht auf. Mit weißem Hemd und schwarzem Jacket, Krawatte, Hut und Sonnenbrille sieht er aus wie Jake Blues. Da werde ich mal vorbeischauen.
 
Als ich aufbrach, dunkelte es bereits. Ich ging den selben Weg zurück, den ich gekommen war, legte dann am Hauptbahnhof, der ja seit Silvester bundesweit bekannt ist, einen Schlenker ein und machte einen kurzen Abstecher ins Gasthaus Dominikaner, das seit einiger Zeit von einem alten Kumpel und ehemaligen Arbeitskollegen von mir geführt wird. Leider war Norbert nicht da.
 
Dafür kam ich mit drei jüngeren und bestens aufgelegten Typen ins Gespräch. Sie gehören zu einer britischen Folk-Punk Band namens »The Roughneck Riot«, die wohl aus Manchester stammt, seit rund zehn Jahren besteht und derzeit auf Tour ist. Am Vorabend hatten sie ein Konzert in Essen gespielt, wie mir ihr Leadsänger Matty Humphries erzählte, und für den nächsten Tag stand ein Gig in Braunschweig auf dem Programm. Den freien Abend ohne Auftritt verbrachten sie gutgelaunt in Köln. Bis dato hatte ich noch nie von »The Roughneck Riot« gehört, inzwischen habe ich mir bei youtube ein paar ihrer Stücke zu Gemüte geführt und muss sagen: Ziemlich gute Mucke. So brachte mein Heimweg noch eine nette Überraschung zum Tagesausklang mit sich.