Montag, 18. April 2016

Thomas Ziegler: Bekenntnisse eines Ökoterroristen

Thomas Ziegler schrieb Science Fiction, Fantasy und Kriminalromane. In erstgenanntem Genre war er im deutschsprachigen Raum einer der herausragenden Autoren, in den beiden anderen mindestens einer der guten. Mit BEKENNTNISSE EINES ÖKOTERRORISTEN AUS DEM JAHRE 1988 – so der vollständige Titel des Werkes aus dem Jahr 1987 – begab sich Ziegler auf den anarchistischen Boden der Polit-Satire, und da gleich in die Vollen.

»Militante Heimwerker, sägende Gummizellen und andere Freizeitanarchos aus der Ökoszene kämpfen mit Molotow-Cocktails und Sprengsätzen gegen den Atomstaat. Ihr Motto: Schweine ins Weltall. Ihr Operationsgebiet: Wackersdorf ist überall. Ihr Programm: Alle Tage Sabo-Tage. Jeder Tag ein Anschlag ist längst zu wenig. Statt aneinander vorbeizureden wird aneinander vorbeigebombt. Fleißig mit dabei ist Tommy Z.«

So verrät es uns der Klappentext. Tommy Z. ist übrigens auch als Autor angegeben, nicht Thomas Ziegler. So ganz will sich mir der Sinn nicht erschließen. Passte Tommy Z. besser zu der abgedrehten Geschichte, als es der bekannte Name Thomas Ziegler getan hätte? Zumal der spinnerte und sympathisch rüberkommende Protagonist Tommy Z. heißt. Seine wahre Identität verbergen wollte Ziegler jedenfalls nicht, sie wird allzu deutlich in der Autorenbeschreibung hervorgehoben.

Von einem Roman zu sprechen, weigere ich mich übrigens. So etwas bezeichnet man wohl als Novelle. Denn so sperrig der Titel, so dünn das Büchlein. Das schmalbrüstige Goldmann-Bändchen bringt es auf kaum mehr als 100 Seiten. Das ist schon ziemlich anarchistisch, ebenso wie die Titelbildgestaltung, die jeder Beschreibung spottet: eine handgekritzelte Schreibmaschine mit bunten Farben. Ich vermute, damit wollte der Verlag Titel und Thema gerecht werden. Das hätte man sicher auch anders lösen können, zumindest weniger abschreckend. In der Buchhandlung wäre mir das Ding damals jedenfalls nicht aufgefallen. Ist es offensichtlich ja auch nicht.

Ich habe lange nach dem Büchlein gesucht. Es war einfach nicht zu bekommen. Als ich vor vielen Jahren einmal im Arbeitszimmer von Rainer Zubeil alias Thomas Ziegler alias Tommy Z. saß, kamen Rainer und ich auch auf dieses Thema zu sprechen. Er konnte mir damals kein Exemplar vermachen, weil er selbst nur ein einziges besaß. Ein alter Fandom-Bekannter aus dem Saarland hat es mir kürzlich freundlicherweise zukommen lassen. Auf diesem Weg noch einmal »Vielen Dank!«, lieber Ralf.

Nach dem Tschernobyl-Freitag ist alles anders, auch in der Kölner Südstadt. Tommy Z., der zum ersten Mal in seinem Leben eine Wohnung gemietet hat, hat wie viele andere den Kopf voller anarchistischer Gedanken. Gestalt annehmen lässt er sie jedoch nicht, denn eigentlich hat er ganz andere, wesentlich existenziellere Dinge im Kopf, nämlich seine Cognac-Flasche, das religiös bedingte Schwarzfahren mit der KVB und wie er das nächste vom Arbeitsamt aufs Auge gedrückte Jobangebot abbiegen kann. Ganz besonders aber seinen mystischen Sack voll Geld.

So durchgeknallt wie die anderen ist Tommy Z. längst nicht. Er macht nur widerstrebend mit bei den Aktionen des Commando Carlo Chaos. Das setzt sich zusammen aus seiner durchgeknallten, amphetaminsüchtigen Freundin Linda, dem abstinenten Alkoholiker »Haste mal 'nen Heiermann?«-Apo-Shorty, der von Visionen heimgesucht wird und am liebsten alles und jeden in die Luft bomben möchte, Cora, deren Hund grinsen und telefonieren kann, und ein paar weiteren skurrilen Gestalten, wie man sie aus Zieglers Oeuvre kennt. Gemeinsam mit ihnen geht Tommy Z. Baumaschinen eines Wackersdorf-Lieferanten in die Luft jagen, Strommasten absägen und Horden von Beagles aus Otties Tier-KZ befreien. Auch Papst Jupp von der Aktion Karneval am Strommast, Sweet Sixteen von den Revolutionären Gartenzwergen und Professor Gurke von der Sägenden Zelle Herne Zwo sind dabei.

»In rasender Eile knacken wir die Zwinger mit der Beißzange, und die Beagles geraten vollends außer Rand und Band. Überall schlackernde lange Ohren, treue braune Hundeaugen, hin- und herdüsende Geschosse auf vier Beinen. … Sie kläffen und jaulen, springen auf uns herum, lecken uns ab und treiben sonstigen Unfug, der meiner Hundeliebe nicht gerade dienlich ist.«

Ziegler zieht alle Register, um den Staat und die Politmafia als ebensolche darzustellen und die bombenden und sägenden Anarchos als Bande gutmeinender Deppen zu karikieren. Natürlich wird kräftig gegen die damalige Polit-Prominenz ausgeteilt, gegen Kanzler Kohl aus dem Gemüsefeld, gegen Waldschrat Kiechle, gegen Zimmermann, Riesenhuber, Blüm und Bangemann, gegen den Minister für Innerdeutsches und Außersinnliches Windelen und den begnadeten Rückentwicklungsminister Warnke. Auch gleich gegen das gesamte Justizministerium, das nach der Tschernobyl-Katastrophe einen Gesetzesentwurf gegen die illegale Einreise sowjetischer Atome plant. Das Commando Carlo Chaos, die Revolutionären Gartenzwerge und all die anderen Freizeit-Anarcho-Fuzzies kommen kein Deut besser weg. Das ist – wenngleich es in Teilen längst den damals aktuellen Bezug verloren hat – vollkommen überdreht, mal komisch, zuweilen grotesk und gelegentlich zu dick aufgetragen – sofern man das von einer Polit-Satire wie dieser sagen kann, aber stets im passenden, treffenden Tonfall gehalten. Ziegler war eben ein Meister des Wortes, egal in welchem Genre er sich gerade tummelte.

Das wird besonders auf den letzten fünf Seiten deutlich, als es einen drastischen sprachlichen Bruch in der Erzählweise gibt. Aus der Kapriolen schlagenden Satire wird unerwartet eine Tragödie, die das amüsierte Grinsen aus dem Gesicht vertreibt und Betroffenheit bewirkt, wo man längst mit einem blödelnden Abschluss gerechnet hatte. Genau hier, ganz am Schluss, in dieser kurzen Passage, hat die Geschichte ihre stärksten, ihre eindringlichsten Momente und zeigt statt des flapsigen Sarkasten Tommy Z. den stilsicheren Literaten Thomas Ziegler.

Sehr sympathisch war mir persönlich beim Lesen natürlich das räumliche Umfeld mit Orten, die in der Handlung explizit genannt werden: Die Südstadt, in der Tommy Z. in der Geschichte vorzugsweise unterwegs ist, trage ja auch ich im Herzen. Der Chlodwigplatz ist für mich einer der zentralen und die Stadt definierenden Orte Köln. Mit dem Severinstor verbinden mich tausend Erinnerungen, Gefühle und Anekdoten. In der Opera habe ich während meiner Oberstufenzeit mehr als nur einen Abend verbracht. Und im Filos habe ich gelegentlich mit Rainer Zubeil alias Thomas Ziegler alias Tommy Z. gesessen. Kein Wunder, dass Rainer all diese Orte in die Geschichte hat einfließen lassen, schließlich lebte er bis zu seinem Tod in der Südstadt, und er lebte gerne dort.

Aktuell ist das abgedrehte Literaturstückchen übrigens als E-Book bei Amazon erhältlich, wie ich mir habe sagen lassen. Anarchistisches Vergnügen mit Tommy Z. und den wahnsinnigen Sägemeistern aus der Kölner Südstadt!

Goldmann Verlag, München, 1987
Taschenbuch, ca. 110 Seiten
DM 7,80
ISBN 3-442-21008-9

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