Ich war lange nicht mehr im Agnesviertel, fiel mir
ein, also schlenderte ich, vom Dom kommend, über den neugestalteten
Breslauer Platz und anschließend den Eigelstein entlang. Noch ist
dort die Gaffel-Brauerei ansässig, doch die zieht bald an einen
anderen Standort, und das Gelände wird frei. Es hat sich, so las ich
dieser Tage, bereits irgendeine Gruppe unter den Nagel gerissen. Ich
gehe davon aus, dass auf dem Areal ein weiteres Hotel entsteht. Noch
mehr Hotels braucht Köln ja wesentlich dringender als bezahlbare
Wohnungen.
Am vorderen Teil der urkölschen Meile Eigelstein
standen ein paar leichte Mädels in der Tür – schwere Junge habe
ich hier schon lange keine mehr gesehen. Der Kiosk, den mal ein
Bekannter von mir, ein ehemaliger Bauhaus-Kollege, betrieb, ist
längst von einem Türken übernommen worden. Vor dem Weinhaus Vogel
standen die Män mit ihrem Kölsch in der Hand, einheimische
Schnäuzer und bunte Touristen. Am Kölsche Boor ging ich vorbei,
ohne dass mir überhaupt irgendwer auffiel – was mir wiederum erst
später auffiel. Unter dem Eigelsteintor schritt ich beinahe
ergriffen hindurch, so wie immer, wenn ich durch eins der vier
erhaltenen Stadttore gehe. Irgendwie liegt da immer besonders viel
Stadtgeschichte in der Luft. Zumindest bilde ich mir das ein.
Dort, wo der Eigelstein zu Ende ist und man in
früheren Zeit die Stadt verließ, empfing mich der Ebertplatz mit
seiner Hektik, seinem Verkehrslärm, seiner unansehnlichen Optik und
seiner seit Jahren defekten Rolltreppe. Schade, dass dort nichts zum
Verweilen einlädt, gleichwohl im Rat seit Jahren Umgestaltungspläne
mit mehr Grün und ebenerdiger Fußgängerführung gewälzt werden.
Ich lief die Treppe hinunter, quer über den kahlen Platz mit seinen
vermutlich seit Jahrzehnten leerstehenden Pavillons und den
Zufluchtsnischen für Obdachlose, mit den trostlosen, verwinkelten
Gängen und dem Brunnen, den ich schon als Kind hässlich fand, und
auf der anderen Seite die Stufen wieder hinauf.
Vor mir lag die Neusser Straße, das Agnesviertel.
Auch dort geht es laut und hektisch zu, doch es ist der Puls des
Lebens, der Menschen, die im Veedel wohnen und einkaufen, nicht der
Lärm des Verkehrs. Ich schlenderte die Neusser hinunter Richtung
Agneskirche, die dem Viertel einst seinen Namen verlieh, und dachte
wie gewöhnlich an diesem Ort an meine vor zwölf Jahren verstorbene
Oma Agnes. Die Sonne schien wieder, ungetrübt von Wolken, und meine
Jacke hing über der Schulter. Nach hundertfünfzig Metern schallte
mir eine Stimme entgegen, mein Name wurde gerufen. Ich entdeckte
einen grinsenden Uwe, der sich an einem Tisch vor dem Balthasar
flegelte und mir hektisch zuwinkte.
Schönes Zusammentreffen, ja, wirklich! Uwe hatte
ich lange nicht gesehen. Ich ließ mich an seinem Tisch nieder und
bestellte ein Kölsch. Uwe ist Gastronom, Musiker und Karnevalsjeck
in Personalunion. Wir badeten in der Sonne und plauderten übers
Griechenmarktviertel, aus dem wir uns kennen, übers Reissdorf
Brauhaus, in dem er mal gearbeitet hat, und über diesen und jenen
gemeinsamen Bekannten. Wir man das nun mal so macht. Da das Auge
bekanntlich mitisst, genoss ich bei unserem Verzällchen einen
kulinarischen Leckerbissen: zu meiner Rechten erhob sich das
Eigelsteintor in seiner historischen Bedeutsamkeit, ohne dass ich den
kahlen Platz davor zu Gesicht bekam, und zu meiner Linken wuchs die
altehrwürdige Agneskirche dem Himmel entgegen.
Erst nach einer Viertelstunde bekam ich mit, dass
aus dem Balthasar Musik auf die Straße drang. Als ich bewusst
hinhörte, erkannte ich die Stimme auf Anhieb. Sie gehörte Holger
Landrock, in Köln auch bekannt als »The Voice of Joe Cocker«. Denn
Holgers Röhre klingt verdammt nach Joe Cocker. Mit seiner One Man
Show, bei der kaum eine Minute ohne Zigarette in der Hand dasitzt,
gibt er Rock, Blues, Country und Oldies zum besten, und bei allem
klingt er wie Cocker. Zeit, um Helene Fischer hochzunehmen, bleibt
dabei auch noch, wenn er vergnügt Hackevoll durch die Nacht
anstimmt. In unserem Veedel von den Bläck Fööss sollte er
sich aber lieber verkneifen, Creedence kriegt er ungleich besser hin.
In einer Pause zwischen zwei Liedern ging ich
hinein und begrüßte Holger, den ich ebenfalls aus dem
Griechenviertel kenne, ursprünglich speziell aus der
Griechenschänke. Dort hing vor Jahren ein Plakat im Eingang mit
einer Konzertankündigung: LANDROCK LIVE. Ich kenne viele Spielarten
der Rockmusik, doch was Landrock sein sollte, wollte sich mir nicht
erschließen. Bis ich dann erfuhr, dass der Mann so heißt.
Ich verabschiedete mich und begab mich ins schräg
gegenüberliegende Stüsser, ein alteingesessenes Brauhaus mit
klangvollem Namen in der ganzen Stadt. Dort sitzen immer noch die
Lück aus dem Agnesveedel, vermischt mit ein paar grauhaarigen
Intellektuellen und dem einen oder anderen gealterten Künstler. Ich
kondolierte bei Ingrid Stüsser, deren Mann Peter vor kurzem
verstorben ist, und ertappte mich dabei, in die Ecke zu schielen, in
der P3, wie Peter Stüsser meist genannt wurde, zu sitzen pflegte. So
etwas gehört zu einem unbeschwerten Spaziergehtag wohl auch dazu.
Als ich etwas später ins Balthasar zurückkehrte,
spielte Holger Landrock immer noch. Selbst wenn Holger nur ein
Dutzend Zuhörer hat, kann er nicht aufhören. Uwe holte indessen
nach, was er zuvor versäumt hatte. Er drückte mir einen Flyer in
die Hand für eine Blues und Blues Rock Band namens »Daniel Klaus
and the Dukes«, die in Kürze zwei Auftritte in Köln hat, im
Söckchen und im Stüsser. Dass Uwe selbst einer der drei Musiker auf
dem Bild ist, fiel mir beim besten Willen nicht auf. Mit weißem Hemd
und schwarzem Jacket, Krawatte, Hut und Sonnenbrille sieht er aus wie
Jake Blues. Da werde ich mal vorbeischauen.
Als ich aufbrach, dunkelte es bereits. Ich ging
den selben Weg zurück, den ich gekommen war, legte dann am
Hauptbahnhof, der ja seit Silvester bundesweit bekannt ist, einen
Schlenker ein und machte einen kurzen Abstecher ins Gasthaus
Dominikaner, das seit einiger Zeit von einem alten Kumpel und
ehemaligen Arbeitskollegen von mir geführt wird. Leider war Norbert
nicht da.
Dafür kam ich mit drei jüngeren und bestens
aufgelegten Typen ins Gespräch. Sie gehören zu einer britischen
Folk-Punk Band namens »The Roughneck Riot«, die wohl aus Manchester
stammt, seit rund zehn Jahren besteht und derzeit auf Tour ist. Am
Vorabend hatten sie ein Konzert in Essen gespielt, wie mir ihr
Leadsänger Matty Humphries erzählte, und für den nächsten Tag
stand ein Gig in Braunschweig auf dem Programm. Den freien Abend ohne
Auftritt verbrachten sie gutgelaunt in Köln. Bis dato hatte ich noch
nie von »The Roughneck Riot« gehört, inzwischen habe ich mir bei
youtube ein paar ihrer Stücke zu Gemüte geführt und muss sagen:
Ziemlich gute Mucke. So brachte mein Heimweg noch eine nette
Überraschung zum Tagesausklang mit sich.
Meine Stadt ist leider gefühlt zu klein dafür. Auch gibt es zu wenig Orte, an denen ich einkehren könnte um gemütlich zu sitzen oder Leute zu treffen. Es fehlen mittlerweile die Typen.
AntwortenLöschenDarum lese ich deine Spazierberichte sehr gerne.