Donnerstag, 7. April 2016

Über den Eigelstein ins Agnesviertel

Ein erster Sonnentag in Köln, da konnte ich gar nicht anders, als ein wenig durch die Stadt zu spazieren. Ich hatte richtig Lust, mir das am Himmel stehende gelbe Ding auf den Pelz brennen zu lassen. Von »brennen« konnte allerdings nur bedingt die Rede sein. Solange die Sonne sichtbar im Himmel stand, war es angenehm warm, und ich konnte die Jacke schultern. Sobald sich jedoch Wolken vor unser Zentralgestirn schoben, wurde es gleich empfindlich kälter. Daher also: Jacke aus, Jacke an, Jacke wieder aus und so weiter.
 
Ich war lange nicht mehr im Agnesviertel, fiel mir ein, also schlenderte ich, vom Dom kommend, über den neugestalteten Breslauer Platz und anschließend den Eigelstein entlang. Noch ist dort die Gaffel-Brauerei ansässig, doch die zieht bald an einen anderen Standort, und das Gelände wird frei. Es hat sich, so las ich dieser Tage, bereits irgendeine Gruppe unter den Nagel gerissen. Ich gehe davon aus, dass auf dem Areal ein weiteres Hotel entsteht. Noch mehr Hotels braucht Köln ja wesentlich dringender als bezahlbare Wohnungen.
 
Am vorderen Teil der urkölschen Meile Eigelstein standen ein paar leichte Mädels in der Tür – schwere Junge habe ich hier schon lange keine mehr gesehen. Der Kiosk, den mal ein Bekannter von mir, ein ehemaliger Bauhaus-Kollege, betrieb, ist längst von einem Türken übernommen worden. Vor dem Weinhaus Vogel standen die Män mit ihrem Kölsch in der Hand, einheimische Schnäuzer und bunte Touristen. Am Kölsche Boor ging ich vorbei, ohne dass mir überhaupt irgendwer auffiel – was mir wiederum erst später auffiel. Unter dem Eigelsteintor schritt ich beinahe ergriffen hindurch, so wie immer, wenn ich durch eins der vier erhaltenen Stadttore gehe. Irgendwie liegt da immer besonders viel Stadtgeschichte in der Luft. Zumindest bilde ich mir das ein.
 
Dort, wo der Eigelstein zu Ende ist und man in früheren Zeit die Stadt verließ, empfing mich der Ebertplatz mit seiner Hektik, seinem Verkehrslärm, seiner unansehnlichen Optik und seiner seit Jahren defekten Rolltreppe. Schade, dass dort nichts zum Verweilen einlädt, gleichwohl im Rat seit Jahren Umgestaltungspläne mit mehr Grün und ebenerdiger Fußgängerführung gewälzt werden. Ich lief die Treppe hinunter, quer über den kahlen Platz mit seinen vermutlich seit Jahrzehnten leerstehenden Pavillons und den Zufluchtsnischen für Obdachlose, mit den trostlosen, verwinkelten Gängen und dem Brunnen, den ich schon als Kind hässlich fand, und auf der anderen Seite die Stufen wieder hinauf.
 
Vor mir lag die Neusser Straße, das Agnesviertel. Auch dort geht es laut und hektisch zu, doch es ist der Puls des Lebens, der Menschen, die im Veedel wohnen und einkaufen, nicht der Lärm des Verkehrs. Ich schlenderte die Neusser hinunter Richtung Agneskirche, die dem Viertel einst seinen Namen verlieh, und dachte wie gewöhnlich an diesem Ort an meine vor zwölf Jahren verstorbene Oma Agnes. Die Sonne schien wieder, ungetrübt von Wolken, und meine Jacke hing über der Schulter. Nach hundertfünfzig Metern schallte mir eine Stimme entgegen, mein Name wurde gerufen. Ich entdeckte einen grinsenden Uwe, der sich an einem Tisch vor dem Balthasar flegelte und mir hektisch zuwinkte.
 
Schönes Zusammentreffen, ja, wirklich! Uwe hatte ich lange nicht gesehen. Ich ließ mich an seinem Tisch nieder und bestellte ein Kölsch. Uwe ist Gastronom, Musiker und Karnevalsjeck in Personalunion. Wir badeten in der Sonne und plauderten übers Griechenmarktviertel, aus dem wir uns kennen, übers Reissdorf Brauhaus, in dem er mal gearbeitet hat, und über diesen und jenen gemeinsamen Bekannten. Wir man das nun mal so macht. Da das Auge bekanntlich mitisst, genoss ich bei unserem Verzällchen einen kulinarischen Leckerbissen: zu meiner Rechten erhob sich das Eigelsteintor in seiner historischen Bedeutsamkeit, ohne dass ich den kahlen Platz davor zu Gesicht bekam, und zu meiner Linken wuchs die altehrwürdige Agneskirche dem Himmel entgegen.
 
Erst nach einer Viertelstunde bekam ich mit, dass aus dem Balthasar Musik auf die Straße drang. Als ich bewusst hinhörte, erkannte ich die Stimme auf Anhieb. Sie gehörte Holger Landrock, in Köln auch bekannt als »The Voice of Joe Cocker«. Denn Holgers Röhre klingt verdammt nach Joe Cocker. Mit seiner One Man Show, bei der kaum eine Minute ohne Zigarette in der Hand dasitzt, gibt er Rock, Blues, Country und Oldies zum besten, und bei allem klingt er wie Cocker. Zeit, um Helene Fischer hochzunehmen, bleibt dabei auch noch, wenn er vergnügt Hackevoll durch die Nacht anstimmt. In unserem Veedel von den Bläck Fööss sollte er sich aber lieber verkneifen, Creedence kriegt er ungleich besser hin.
 
In einer Pause zwischen zwei Liedern ging ich hinein und begrüßte Holger, den ich ebenfalls aus dem Griechenviertel kenne, ursprünglich speziell aus der Griechenschänke. Dort hing vor Jahren ein Plakat im Eingang mit einer Konzertankündigung: LANDROCK LIVE. Ich kenne viele Spielarten der Rockmusik, doch was Landrock sein sollte, wollte sich mir nicht erschließen. Bis ich dann erfuhr, dass der Mann so heißt.
 
Ich verabschiedete mich und begab mich ins schräg gegenüberliegende Stüsser, ein alteingesessenes Brauhaus mit klangvollem Namen in der ganzen Stadt. Dort sitzen immer noch die Lück aus dem Agnesveedel, vermischt mit ein paar grauhaarigen Intellektuellen und dem einen oder anderen gealterten Künstler. Ich kondolierte bei Ingrid Stüsser, deren Mann Peter vor kurzem verstorben ist, und ertappte mich dabei, in die Ecke zu schielen, in der P3, wie Peter Stüsser meist genannt wurde, zu sitzen pflegte. So etwas gehört zu einem unbeschwerten Spaziergehtag wohl auch dazu.
 
Als ich etwas später ins Balthasar zurückkehrte, spielte Holger Landrock immer noch. Selbst wenn Holger nur ein Dutzend Zuhörer hat, kann er nicht aufhören. Uwe holte indessen nach, was er zuvor versäumt hatte. Er drückte mir einen Flyer in die Hand für eine Blues und Blues Rock Band namens »Daniel Klaus and the Dukes«, die in Kürze zwei Auftritte in Köln hat, im Söckchen und im Stüsser. Dass Uwe selbst einer der drei Musiker auf dem Bild ist, fiel mir beim besten Willen nicht auf. Mit weißem Hemd und schwarzem Jacket, Krawatte, Hut und Sonnenbrille sieht er aus wie Jake Blues. Da werde ich mal vorbeischauen.
 
Als ich aufbrach, dunkelte es bereits. Ich ging den selben Weg zurück, den ich gekommen war, legte dann am Hauptbahnhof, der ja seit Silvester bundesweit bekannt ist, einen Schlenker ein und machte einen kurzen Abstecher ins Gasthaus Dominikaner, das seit einiger Zeit von einem alten Kumpel und ehemaligen Arbeitskollegen von mir geführt wird. Leider war Norbert nicht da.
 
Dafür kam ich mit drei jüngeren und bestens aufgelegten Typen ins Gespräch. Sie gehören zu einer britischen Folk-Punk Band namens »The Roughneck Riot«, die wohl aus Manchester stammt, seit rund zehn Jahren besteht und derzeit auf Tour ist. Am Vorabend hatten sie ein Konzert in Essen gespielt, wie mir ihr Leadsänger Matty Humphries erzählte, und für den nächsten Tag stand ein Gig in Braunschweig auf dem Programm. Den freien Abend ohne Auftritt verbrachten sie gutgelaunt in Köln. Bis dato hatte ich noch nie von »The Roughneck Riot« gehört, inzwischen habe ich mir bei youtube ein paar ihrer Stücke zu Gemüte geführt und muss sagen: Ziemlich gute Mucke. So brachte mein Heimweg noch eine nette Überraschung zum Tagesausklang mit sich.

1 Kommentar:

  1. Meine Stadt ist leider gefühlt zu klein dafür. Auch gibt es zu wenig Orte, an denen ich einkehren könnte um gemütlich zu sitzen oder Leute zu treffen. Es fehlen mittlerweile die Typen.
    Darum lese ich deine Spazierberichte sehr gerne.

    AntwortenLöschen