Dienstag, 11. Oktober 2016

Wie ich Stephen King wiederentdeckte

Ich hatte lange keinen Roman mehr von Stephen King gelesen. Der letzte ist zwanzig Jahre her, eher noch länger. Ich weiß nicht mal mehr, welches Buch es war. Mehr noch, ich hatte den King völlig aus den Augen verloren. Dann stieß ich vor einiger Zeit auf eine Besprechung von MR. MERCEDES, die mein Interesse weckte. Ich habe den Kauf des Buchs und das Lesen nicht bereut. Es handelt sich nicht um einen Horrorroman, sondern um einen Krimi, einen Thriller, eine Detektivgeschichte, die mich schon nach wenigen Seiten packte und mich bis zum Ende nicht mehr losließ. Inzwischen habe ich mit nicht weniger Begeisterung die Fortsetzung FINDERLOHN gelesen und freue mich auf MIND CONTROL, den Abschluss der Trilogie.
 
Zur Überbrückung zwischen dem zweiten und dritten Teil legte ich mir die Kurzgeschichtensammlung BASAR DER BÖSEN TRÄUME zu. Schon der Opener Raststätte Mile 81 ist King-Horror vom feinsten, und mit Die Düne folgt eine aufregende Story, die noch übertroffen wird von dem fiesen, bösen, gemeinen Plot in Böser kleiner Junge, der einen wirklich schaudern lässt und mich in seiner Boshaftigkeit an das Ende von Twin Peaks erinnerte. Ich gebe zu, während des Lesens der Kurzgeschichten packte mich das King-Fieber wie wohl zuletzt vor einer halben Ewigkeit bei ES, und damit stand fest, dass wieder mehr King auf der Speisekarte stehen muss. Also mal ins Internet geschaut und erstaunt festgestellt, dass der Altmeister eine Fortsetzung zu SHINING geschrieben hat. Das überraschte mich nun wirklich, und augenblicklich stand für mich fest, dass DOCTOR SLEEP kommende Pflichtlektüre ist. Doch halt, nach über zwanzig Jahren war mir der Inhalt von Shining nur noch in Teilen gegenwärtig. Daher beschloss ich, das Buch noch einmal zu lesen, bevor ich mich an die Fortsetzung mache. Leider musste ich dabei feststellen, dass Shining in meinem Bücherfundus nicht mehr vorhanden ist, und ich entschied, Doctor Sleep zu verschieben, bis es mir gelungen ist, Shining irgendwo aufzutreiben. Aber als gebundene Ausgabe bitteschön, man ist ja schließlich bibliophil.
 
Und dann passierte etwas, das ich mir für eine Story nicht glaubwürdig ausdenken könnte. Vielleicht gelänge das nicht einmal Stephen King. Obwohl, doch, der King würde das hinkriegen. Da noch mal ein schöner Tag mit blauem Himmel war, ließ ich den Computer Computer sein, das aktuelle Manuskript Manuskript sein und machte mich auf zu einem Spaziergang durch den rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Mülheim. Über die belebte Meile Mülheimer Freiheit, die vom Wiener Platz zum Rheinufer hinunterführt, bin ich schon seit ein paar Jahren nicht mehr geschlendert, es wurde also mal wieder Zeit. Auf der Freiheit herrscht ein buntes Gemisch, in jeder Hinsicht. Supermärkte wechseln sich ab mit einer Fülle kleiner Läden, Telefonshops und Imbissbuden geben sich die Klinke in die Hand, Ramschläden konkurrieren mit Straßencafés, und zwischen all dem finden sich Seniorenheime und türkische Kulturvereine, Kioske und schäbig aussehende Versicherungsbüros.
 
Im Vorbeigehen angesprochen wurde ich jedoch vom Vertreter eines ganz anderen Gewerbes. Ein Typ um die Vierzig, kantig und mit tätowierten Muskelpaketen, von Kopf bis Fuß gekleidet wie ein wandelnder Nato-Army-Shop und mit einem halbvollen Glas Weißbier in der Hand, grinste mich an und raunte mir etwas zu. Ich konnte sein hartes, gebrochenes Deutsch mit dem unverkennbaren Russisch-Hintergrund kaum verstehen, doch sein Fingerzeig zu einem Stehtisch vor der anliegenden Kneipe machte mir klar, was er wollte. Daran stand, ziemlich gelangweilt, wie mir schien, eine Frau in seinem Alter. Sie war ebenfalls aufgedonnert, allerdings weniger im Nato-Stil. Schlank, lange blonde Haare, enge schwarze Leggins, hohe Hacken und rotlackierte Fingernägel. Klischeehafter ging es nicht, und der Natodeutschrusse grinste mich erneut an, diesmal Daumen und Zeigefinger gegeneinander reibend, was dann doch zu viel Klischee für mich war. Ich schüttelte den Kopf und machte, dass ich weiterkam. Allzu schwer schien er meine Abfuhr nicht zu nehmen, denn ich bekam noch mit, dass er sich gutgelaunt das halbe Weizen in den Hals schüttete und ein neues bestellte.
 
Was dieses Intermezzo mit Stephen King zu tun hat? Ganz einfach, ich schlenderte weiter, darauf bedacht, weiteren unheimlichen Begegnungen jedweder Art aus dem Weg zu gehen – und kam schließlich an diesem merkwürdigen Laden vorbei, den ich nicht richtig einordnen konnte. Vor dem Schaufenster standen Körbe auf dem Gehweg, und darüber glotzte mich, fast unbeachtet von den hektisch vorbeieilenden sowie gelassen flanierenden Passanten, ein riesiges Schild an, auf dem stand: 3 Bücher für 1 Euro. Nicht für einen, nein für 1 Euro. Ich wollte schon weitergehen, ohne einen Blick auf die Auslage zu werfen, weil ich sicher war, dass bei einem solchen Preis einfach nichts für mich dabei sein kann, doch dann erregte etwas meine Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich war es diese ins Auge springende, knallrote Schrift auf schwarzem Grund, die man selbst aus dem Augenwinkel wahrnimmt. STEPHEN KING stand da in eben jenem Knallrot zu lesen, und in Weiß darunter SHINING. Für einen Moment glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Ich schien eine Halluzination zu haben, einen Tagtraum. Hatte ich doch noch kürzlich an King gedacht und genau an diesen Roman. Und da lag er nun vor mir, in der gebundenen Lübbe-Ausgabe von 1987. Gleich daneben lagen zwei weitere Hardcover von King, nämlich STARK und GESANG DER TOTEN. Ich packte die drei Bücher, stapfte in den Laden und beglich die horrende Rechnung von einem Euro.

Jetzt, wenige Tage später, wundere ich mich immer noch. Außer besagten drei King-Titeln befand sich in dem Sammelsurium kein einziges Buch, das ich auch nur anlesen würde. Nach rund einem Vierteljahrhundert, in dem ich Shining nicht mehr gesehen hatte, fiel es mir, kurz nachdem ich beschlossen hatte, es mir nach langer Zeit erneut zuzulegen, wie aus heiterem Himmel in die Hände. Nein, diese Geschichte ist nicht erdacht, sondern hat sich genau so zugetragen. Ein fast unglaublicher Zufall? Ja, sicher. Andererseits … andererseits, wer weiß, welche überirdische Macht bei diesem merkwürdigen Vorkommnis ihre Finger im Spiel hatte. Vielleicht sogar Stephen King selbst? Das scheint mir ein Fall für Scully und Mulder zu sein. Oder wie es früher in den Gespenster-Geschichten von Hajo F. Breuer und Uwe Helmut Grave immer so schön hieß: Seltsam, aber so steht es geschrieben.

3 Kommentare:

  1. Zufälle, die nur das Leben schreiben kann.
    Ich hatte gerade schon überlegt, dir als Überbrückung mein alte, allerdings Taschenbuchversion von Shining, zum Bucon mitzubringen.
    Aber das hat sich ja als unnötig herausgestellt.

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  2. Hallo Achim
    Schön zu lesen, dass es Dir ähnlich erging, wie mir vor ein, zwei Jahren, als ich den ersten Teil des Dreiteilers von "Mr Mercedes" gelesen hatte.
    Mittlerweile habe ich meine Liebe zu King erneut angefacht, nachdem ich ihn so um "Dreamcatcher" aus den Augen verlor, weil seine Bücher mir immer weniger entsprachen und einfach langweilig wurden.
    Oder ich hatte mich so verändert, dass ich damit nichts mehr anfangen konnte, wer weiss das schon so genau.
    Jedenfalls bin ich seither wieder bei King und geniesse seine Bücher wieder, als würde es sich um einen guten, alten Schottischen Whiskey handeln (gilt als Vergleich. Ich selber trinke das nicht).
    Ich habe mich sogar an den Schmöker 11/22/63 gewagt, der mich vom Umfang her immer abgeschreckt hat. Als ich jedoch das Projekt in Angriff nahm, wurde ich mit einem aussergewöhnlichen Buch und einer wunderbaren Geschichte konfrontiert.
    Mittlerweile liest sie ein Kollege von mir auf Deutsch (Der Anschlag) und kann bis jetzt - kurz vor der Mitte - meine Einschätzung nur teilen.
    Ich wünsche Dir weiterhin gute Lektüre mit Stephen King und mit den eigenen Büchern auch weiterhin alles Gute.
    Viele Grüsse

    Michel

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