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Hansrudi Wäscher und der Ritter Sigurd |
Hansrudi Wäscher kann mit Fug und Recht als ein Pionier des deutschen Comics bezeichnet werden. In den Fünfziger und Sechziger Jahren entwickelte er für den Lehning-Verlag die Serien, die ihn berühmt machten und die in dieser ungewöhnlichen Heftgröße erschienen, die bis heute unvergessen ist, nämlich als Streifenheftchen oder als, ja, richtig, Piccolos. Allein die Bezeichnung löst noch heute bei mir Faszination aus.
Es muss irgendwann in den frühen Siebziger Jahren gewesen sein, als ich auf eben jene Piccolos aufmerksam wurde. Beim ersten Anblick habe ich mich als kleiner Junge in die kleinen Dinger verliebt. Ich entdeckte sie in einem der damals noch weitverbreiteten An- und Verkaufsläden, in denen mein Opa seine gelesenen Western und Krimis gegen andere ebenfalls schon gelesene eintauschte.
Da lagen sie also, die Nicks und Tibors, die Sigurds, Falks und Akims. Was werden die Piccolos, die schon mehrere Vorbesitzer gehabt hatten und teilweise auch so aussehen, damals gekostet haben? Zwanzig Pfennig vielleicht? Ich weiß es nicht mehr. Durch die Perry-Comics war ich zu jener Zeit bereits Science Fiction-Fan, und so wundert es nicht, dass Nick unter den Wäscher-Helden auf Anhieb mein Liebling wurde.
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Allmächtiger! - Das Standardwerk über HRW |
Beheimatet war Hansrudi Wäscher jedoch gleichermaßen im Dschungel (Akim, Tibor) und in der mittelalterlichen Welt der Ritter (Sigurd, Falk), zu denen sich später Bob und Ben sowie Roy Stark gesellten. Ich las die Piccolos, wie sie mir gerade in die Finger fielen, ohne auf eine chronologische Abfolge zu achten. Da es sich ausnahmslos um Endlosfortsetzungen handelte, wäre ein solches Leseverhalten heute für mich unvorstellbar, doch in meinen Kindertagen war es mir egal. Ich hatte großen Spaß damit.
Und nicht nur ich, sondern eine ganze Generation, denn Wäscher war ein großartiger Erzähler, dessen Geschichten teilweise epischen Umfang erreichten. Noch heute spricht man von der Generation Lehning. Allein Sigurd verkaufte sich zu besten Zeiten mehr als eine halbe Million mal wöchentlich. Doch als ich selbst in den Siebzigern auf die Piccolos stieß, war deren Zeit bereits vorbei. Die Comicszene in Deutschland veränderte sich und wurde wesentlich größer, und Ende der Sechziger Jahre ging der Lehning-Verlag in Konkurs. Das war das - vorläufige - Aus für Hansrudi Wäschers Kultserien.

Wäscher selbst kam danach bei Bastei unter. Einige Jahre zeichnete er Buffalo Bill und Gespenstergeschichten, für die auch meine ehemaligen Ren Dhark-Kollegen Hajo F. Breuer und Uwe Helmut Grave tätig waren. Zu jener Zeit setzte eine Entwicklung ein, mit der Hansrudi Wäscher selbst nicht gerechnet hatte. Seine Klassiker aus den Fünfzigern und Sechzigern wurden neu aufgelegt und brachten eine große und eingeschworene Fanszene hervor. Es geschah, was sich so mancher Künstler wünscht: Hansrudi Wäschers Werk machte sich selbständig und wurde größer als sein Schöpfer.
Wie Nick und Sigurd, Tibor und Falk war Hansrudi Wäscher plötzlich selbst Kult. Ich hatte ihn zu jener Zeit längst aus den Augen verloren und bekam gar nicht mit, dass er als Mittfünfziger nun Fortsetzungen schrieb und zeichnete und mit der Fantasygeschichte Fenrir sogar eine neue Serie schuf. Ich entdeckte ihn erst wieder, als er eines Tages bei der Intercomic-Messe in Köln auf der Bühne stand, bei der er dann noch mehrmals zu Gast war.
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Hansrudi Wäscher mit dem Preis "Ritter der 9. Kunst" |
Persönlich kennengelernt habe ich Hansrudi Wäscher nie, aber ich sehe ihn noch da oben hinter einem Tisch sitzen, diesen freundlichen, lächelnden älteren Herrn, vor dem eine lange Menschenschlange anstand. Die zahlreichen Wäscher-Fans warteten geduldig für ihr Autogramm, für eine persönliche Zeichnung des Meisters oder für ein Foto, auf dem sie gemeinsam zu sehen sind. Auf der 67. Intercomic im Jahr 2010 wurde er mit dem "Ritter der 9. Kunst" ausgezeichnet, eine Ehre, die für das umfangreiche Werk, das er hinterlassen hat, damit dem richtigen Mann zuteil wurde.
Bekanntlich habe ich seit 2012 das Vergnügen, Wäschers Comics Tibor, Nick und Falk für den Verlag Peter Hopf in literarische Form zu bringen, sie also als Romane zu adaptieren. Das ist nicht nur dahingesagt, denn es ist wirklich ein Vergnügen, das mir großen Spaß macht. Das eine oder andere Mal war angedacht, Hansrudi Wäscher zu besuchen. Ich hätte mir gern ein paar meiner Romane, die auf seinen Vorlagen basieren, von ihm signieren lassen, doch dazu ist es nie gekommen.
Am gestrigen 7. Januar 2016 ist Hansrudi Wäscher im stolzen Alter von 87 Jahren in Freiburg gestorben. Sein Werk aber, da bin ich sicher, wird noch lange weiterleben.