Ich gebe zu, dass der Literaturnobelpreis, die höchste literarische Auszeichnung weltweit, für mich immer recht weit weg war. Aus reiner Neugier informiere ich mich alljährlich nach der Veröffentlichung des Namens, wem die Ehre denn diesmal zuteil wurde. Und meistens folgt dann ein Schulterzucken. Denn ebenso alljährlich - oder jedenfalls zumeist - wurde der Preis an Autoren verliehen, deren Namen ich bis dahin nie gehört hatte. Um vor mir selbst nicht ganz unwissend dazustehen, verschaffe ich mir jedes Mal ein paar grundlegende Informationen über den Preisträger, was in den vergangenen Jahren durch Internet und Google immer leichter wurde. Damit hat es sich aber auch, und ich vergesse den Preisträger bald wieder, da ich zumeist mit dem Inhalt der literarischen Werke nicht viel anfangen kann.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Heinrich Böll als gebürtigen Kölner las ich bereits in den früheren Jahren meiner Schulzeit nach der Grundschule, doch vieles blieb mir aufgrund meines jungen Alters damals unverständlich. Wenige Jahre später interessierten mich Bölls politische Schriften, die sich mit der RAF und jenen heißen Jahren des Kampfes der 6 gegen 60 Millionen beschäftigten. Auch Die verlorene Ehre der Katharina Blum war dann selbstauferlegte Pflichtlektüre.
Darüber hinaus konnte ich den Preisträgern und ihren Werken aus über hundert Jahren nur wenig abgewinnen. Von ein paar wenigen habe ich neben Böll noch vereinzelte Werke gelesen: Rudyard Kipling (Das Dschungelbuch), George Bernard Shaw (Pygmalion), Hermann Hesse (Der Steppenwolf), Ernest Hemingway (Der alte Mann und das Meer), Jean Paul Sartre (Das Spiel ist aus) und William Golding (Herr der Fliegen). Und tatsächlich fallen mir auch drei Namen ein, von denen ich immer mal etwas lesen wollte, was aber bis heute nicht geklappt hat, nämlich John Steinbeck, William Faulkner und Gabriel Garcia Márquez.
In diesem Jahr jedoch ist alles anders. Gestern wurde ich im Netz fast erschlagen von der Häufung des Namens jenes Mannes, der den Literaturnobelpreis 2016 verliehen bekam: Bob Dylan, mit bürgerlichem Namen Robert Zimmermann. Ich gebe zu, im ersten Moment war ich schlicht baff, dann setzte eine leise, unterschwellige Freude ein, die sich schon bald zu Begeisterung entwickelte. Da erhält plötzlich jemand den Literaturnobelpreis, dessen Namen ich seit Jahren kenne (und nach dem ich eben nicht googlen muss), dessen Musik ich seit Jahren höre und mit dessen Texten ich mich seit Jahren beschäftige.
Dabei entdeckte ich Bob Dylan spät, erst Anfang der Achtziger Jahre. Als seine - für mich und im Nachhinein betrachtet - größten (und er hat viele große) Alben (Bringing It All Back Home sowie Highway 61 Revisited und Blonde On Blonde) erschienen, hörte ich noch keine Musik. Da lief ich allenfalls noch mit dem Trömmelchen um den Weihnachtsbaum und ließ mir von meinen Eltern Kinderlieder vorsingen. Durch Wolfgang Niedeckens öffentliche Begeisterung für Dylan wagte ich mich dann an His Bobness heran - und stellte fest, dass es in der populären Musik Texte gibt, die weit über all jene hinausgehen, die mir bis dahin geläufig waren. Sicher, es gab da schon eine Reihe mir bekannter Ausnahmen, Bruce Springsteen zum Beispiel, und selbst die Kölner Bläck Fööss wussten auf ihren Alben in der zweiten Hälfte der Siebziger Jahre richtige Geschichten zu erzählen, doch in dieser Ausprägung bereits seit 1962, gleich ob als Folk- oder als Rockmusiker, war Dylan eine herausragende Speerspitze literarischer Intellektualität.
Dylan ist ein Poet im besten Sinne, ein nachdenklicher Wortschöpfer, ein Geschichtenerzähler in der Tradition des nachdenklich-kritischen amerikanischen Folks. Seit über fünfzig Jahren bereichert er die Literatur mit seinen Texten, mit Dichtung hohen literarischen Ranges, in der er einerseits reale Begebenheiten aufgreift und in eine erzählende Form bringt und andererseits bildgewaltige, surrealistische Epen schafft. Dylan verknüpft die Lyrics einer musikalischen Textstruktur mit den Inhalten wesentlich umfangreicherer Prosa. Dabei spielt es keine Rolle, dass seine Texte nicht zunächst für die Buchform bestimmt sind. In solcher können sie immer noch abgedruckt werden, für den Puristen, der der Meinung ist, Literatur gehöre ausschließlich zwischen zwei Buchdeckel.
Dass die Popmusik eine der Literatur artverwandte Form ist, beweist Dylan seit Jahrzehnten. Mehr noch, ihm ist es gelungen, die Musik mit seinen Texten zu einem Teil der Literatur zu machen und zu beweisen, dass diese beiden Kunstformen nicht zwangsläufig miteinander konkurrieren müssen, sondern sich ergänzen und gar verschmelzen können. Schon die alten Griechen trugen gedichtete Epen zu Musik vor, und im Mittelalter fuhren Bänkelsänger von einem Ort zum anderen, um Geschichten, wahre oder erdachte, musikalisch vorzutragen. Bob Dylan ist der erste Musiker und Nicht-Schriftsteller, der für seine Texte den Literaturnobelpreis verliehen bekommt, und ich finde das nicht nur großartig, sondern konsequent in einer Zeit, in der Literatur auch formal zu neuen Ufern wie E-Books, Hörbüchern etc. aufbricht. Es kommt nicht primär auf die Verabreichungsform von Literatur an, sondern auf deren Inhalt. Ich finde es schön, dass auch das Nobelpreiskomitee dieser Ansicht zu sein scheint.
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