Mit schöner Regelmäßigkeit erscheint phantastisch mit vier Ausgaben jährlich. Wie immer unter der redaktionellen Ägide von Klaus Bollhöfener, liegt mittlerweile die 59. Ausgabe des vom Atlantis-Verlag herausgegebenen und beispielsweise in der Buchhandlung des Kölner Hauptbahnhofs erhältlichen Phantastik-Magazins vor.
"Patrick Rothfuss dem Fantasy-Fan vorzustellen, hieße Eulen nach Athen zu tragen." Mit diesem Satz wird ein Interview eingeleitet, das Carsten Kuhr mit ebenjenem Autor führte. Ich kenne Rothfuss nicht, habe nie von ihm gehört. "Der aufstrebende Fantasy-Autor" ist er also. Na gut, ich lese keine Fantasy, und High Fantasy schon gar nicht, muss ihn daher also auch nicht kennen. Trotzdem fände ich es nicht schlecht, einen Autor, von dem ein mehrseitiges Interview abgedruckt wird, dem geneigten Magazinleser zumindest mit ein paar Eckdaten nahe zu bringen.
Ungleich intensiver auf das literarische Objekt seines Interesses geht Bernd Jooß ein. Auf gleich sieben Seiten nähert er sich Stephen King in einem persönlichen Erfahrungsbericht an. Seit er 14 war, liest Jooß King und wurde zu einem King-Fan. Das merkt man seinem Artikel an, und zwar ausgesprochen positiv. Locker-flockig geht er die Romane durch, die er im Laufe der Jahre gelesen hat, erzählt, wie er sie entdeckte, was er im Vorhinein von ihnen erwartete und was er beim und nach dem Lesen selbiger schließlich empfand. Der kleine Parforceritt durch das Schaffen des Meisters, dessen ES bei mir noch heute ganz hoch im Kurs steht, liest sich leicht, angenehm und äußerst unterhaltsam. Das mag zum einen an Jooß' Stil liegen und zum anderen an der Thematik King, die mich interessiert.
Alternativweltromane besitzen eine ganz eigene Faszination. Die Vorstellung des "Was wäre, wenn sich die Geschichte der Menschheit ab einem bestimmten Punkt in eine andere als die uns bekannte Richtung entwickelt hätte" dürfte in den meisten Epochen ein reizvolles Thema sein. Bestes Beispiel ist für mich Philip K. Dicks Dystopie Das Orakel vom Berge, im amerikanischen Original The Man in the High Castle, in der die Achsenmächte den Zweiten Weltkrieg gewonnen und Deutschland und Japan die USA unter sich aufgeteilt haben. Was läge nach einem Vierteljahrhundert deutscher Wiedervereinigung näher als ein Roman mit einer Alternative zu eben jener historischen Zäsur? Christopher Dröge befasst sich gleich mit vier Romanen, die die Wiedervereinigung oder auch Nicht-Wiedervereinigung zum Thema haben, und zwar mit alternativen Geschichtsfortschreibungen. In Simon Urbans Plan D und Marcus Staigers Die Hoffnung ist ein Hundesohn existieren beide deutschen Staaten weiterhin nebeneinander, in Christian von Ditfurths Die Mauer steht am Rhein sowie in Marcus Hammerschmitts PolyPlay übernimmt gar die DDR die BRD. Interessante fiktive Möglichkeiten.
Überhaupt ist das Magazin prall gefüllt und bunt. Rezensionen und Vorstellungen von Neuveröffentlichungen dominieren dabei. Christian Endes interviewt den britischen Comic-Künstler Carl Critchlow, und Horst Illmer beschäftigt sich mit der amerikanischen SF-Autorin Ann Leckie. Es wird "Phantastisches Lesefutter für junge Leser" vorgestellt und "Die phantastischen Designs des Ken Adams" beleuchtet. Bernd Robker stellt sich und den Lesern die Frage "Wie funktioniert interstellare Raumfahrt?" und wirft Schlaglichter auf die verschiedenen genretypischen Möglichkeiten ebenjener, ohne dabei in schwer zu goutierendes Techno-Blabla abzudriften. Sogar eine Kurzgeschichte der in Wales geborenen und in Kanada lebenden Jo Walton gibt es. Die ist wirklich kurz, kaum mehr als zwei Seiten, knackig, nett und witzig, auch wenn sie ohne echten Plot auskommt. Dazu finden sich Nachrufe auf Terry Pratchett, Günter Grass und Leonard Nimoy
Es ist nicht nur erfreulich, dass es ein sekundärliterarisches Genre-Magazin wie phantastisch überhaupt gibt, sondern auch, dass es bereits seit so vielen Jahren existiert, vor allem Dank des Chefredakteurs Klaus Bollhöfener. Ich muss zugeben, dass ich phantastisch für eine Weile aus den Augen verloren hatte, doch ich gelobe, künftig wieder zur Kategorie "regelmäßiger Leser" zu gehören.
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