Gleich zwölf (12!) Debütanten präsentierte Jogi Löw im Länderspiel gegen Polen. Von einer Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft konnte da natürlich keine Rede sein, eher von einem Freundschaftskick. Was so aber auch nicht ganz stimmt. Denn von einigen der jungen Spieler wird man nach dem Turnier in Brasilien auf internationaler Ebene wieder hören, sei es in Hinblick auf die in zwei Jahren folgende Euro oder die WM 2018. Man kann also von einem Sondierungsspiel in Hinblick auf die Zukunft sprechen.
Daß es in dieser Zusammensetzung zu diesem Zeitpunkt kurz vor der WM stattfand, mutet sicherlich ein wenig lächerlich an. Und war bei der Spielansetzung gewiß nicht so geplant. Die liegt lange zurück, könnte man argumentieren, und damals konnte man nicht voraussehen, wie viele Stammkräfte Löw für einen der letzten Tests vor der WM fehlen werden. Dies würde aber beinhalten, daß nicht abzusehen war, welche Mannschaften im Finale des DFB-Pokal stehen, deren Nationalspieler somit nicht zur Verfügung stehen. Bayern München und Borussia Dortmund im Cup-Final? Davon war nicht auszugehen. Die Herren Planer erwarteten vermutlich eine Finalpaarung zwischen der SG Aumund-Vegesack und der Neckarsulmer Sport-Union oder zwischen dem FSV Optik Rathenow und dem BSV Schwarz-Weiß Rehden. Gut, in dem Fall hätte Löw auch auf die Stars der Bayern und des BVB zurückgreifen können.
So kam es jedoch nicht, ziemlich erstaunlich. Die scheinbare Sinnlosigkeit der angesetzten Partie ignorierend, machte der Bundes-Jogi aus der Not eine Tugend. Er zauberte Namen aus dem Hut, von denen mir - ich muß es gestehen - einige völlig unbekannt waren. Auf einmal stand eine Horde junger Spieler auf dem Platz, die zum ersten Mal das Trikot mit dem Adler auf der Brust trugen, jedenfalls das der A-Nationalmannschaft. Ich bin sicher, daß jeder einzelne von ihnen das mit Freude und Leidenschaft tat.
Umso verwunderlicher waren für mich die Pfiffe nach Spielschluß. Ganz offensichtlich wurden hier Maßstäbe angelegt, die zu halten nicht möglich sind. Haben die Zuschauer im Hamburger Stadion etwa erwartet, daß diese jüngste deutsche Nationalelf aller Zeiten, die zudem noch nie zusammen gespielt hat, den gleichen Zauberfußball bietet, wie es möglicherweise die A-Garnitur getan hätte? Ein Publikum, welches derlei voraussetzt, ist in einem Fußballstadion falsch aufgehoben. Nicht faktisch, sondern meiner Meinung nach.
Doch genau da liegt das Problem. Bei Spielen der Nationalmannschaft herrscht längst ein Event-Charakter vor, der bei Teilen des Publikums mit Fußballkultur nur noch wenig zu tun hat. Für viele ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, daß Deutschland zu den führenden Fußballnationen zählt und von daher in jedem Spiel eine entsprechende Vorstellung abliefern muß. Die Differenzierung zwischen einer mit hochbezahlten Stars gespickten Elf und einer jungen Truppe mit zahlreichen Debütanten, wie sie gestern in Hamburg auf dem Platz stand, ist dabei völlig abhanden gekommen. Sofern sie solchen Zuschauern jemals möglich war.
Ich verwende bewußt den Begriff Zuschauer, weil es mir schwerfällt, in diesem Zusammenhang von Anhängern oder Fußballfans zu reden. Man hat bezahlt, also hat die Truppe zu funktionieren wie gewünscht. Ähnlich einer Musikbox, in die man einen Euro wirft und sich im Recht glaubt, Forderungen stellen zu dürfen. Läuft es dann nicht so wie erwartet, haben nicht "unsere Jungs" sondern "die da" Mist gespielt. Solches Event-Publikum will immer nur gewinnen und an der Spitze sein, um jubeln und feiern zu können, in mit Deutschlandfarben ausstaffierten Accessoires und mit dem neuesten Trikot. Es einmal in einer unterklassigen nationalen Begegnung im Stadion sehen, bei Wind und Regen noch dazu? Kaum vorstellbar. Muß ja auch nicht sein. Klassische Fankultur darf ruhig Fußballfans statt Eventies vorbehalten bleiben. Daß wie gestern die jungen Spieler nach einem Unentschieden ausgepfiffen werden, ist jedoch armselig.
Ich bin sicher, die Debütanten, die gestern auf dem Platz standen, sind allein wegen ihrer Nominierung und der Tatsache, sich nun Nationalspieler nennen zu dürfen, mit einem guten Gefühl nach Hause gefahren. Und selbst wenn der eine oder andere kein zweites Mal in die A-Mannschaft berufen werden sollte, wird er auch in vielen Jahren noch an dieses Erlebnis denken.
Ich gebe dir absolut Recht. Noch ärgerlich wird es, wenn man sich vorstellt, dass dann echte Fans und auch Kinder, die gerne mal die Nationalmannschaften sehen möchte, wegen solchen Pfeiferpfeifen keine Tickets bekommen.
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