Heute wäre mein Vater 80 Jahre alt geworden. Wäre er, ist er aber nicht. Geboren wurde er am 17. November 1933, in dem Jahr also, in dem Adolf Hitler auf demokratischem Weg Reichskanzler wurde, die NSDAP die Macht in Deutschland übernahm und die ersten Konzentrationslager entstanden. Er hatte das Glück, selbst 1945 noch zu jung zu sein, um zu jenen Jugendlichen zu gehören, die kurz vor Kriegsende in einem letzten verzweifelten Kraftakt als Kanonenfutter herhalten mußten, um einen Untergang zu verhindern, der längst nicht mehr zu verhindern war.
Heute empfinde ich es als eine gewisse Ironie des Schicksals, daß er starb, als ich bei der Bundeswehr war, nämlich Anfang 1984. Das Orwell-Jahr wollte er sich wohl ersparen. Zu jenem Zeitpunkt war er jünger, als ich es heute bin. Erst wenige Monate zuvor hatte er seinen 50. Geburtstag gefeiert. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich von seinem Tod erfuhr.
Ich war in Neumünster stationiert, irgendwo zwischen Hamburg und Kiel. Wir turnten im Kasernenhof auf unseren Leopard-Panzern herum. Wartungsarbeiten nannte man das wohl. Eine Ordonnanz kam herbeigeeilt und befahl mich zum Kompaniehauptmann. Das war ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Obwohl ich nichts ausgefressen hatte, überkam mich daher ein schlechtes Gewissen. Statt einer Kopfwäsche drückte mir der Hauptmann jedoch die Hand und sein Bedauern aus.
So erfuhr ich es also. Das Ableben meines Vaters lag bereits ein paar Tage zurück, aber niemand hatte mich erreicht. Meine Verwandtschaft, nicht einmal meine Mutter, wußte, wo genau ich stationiert war. Das hatte ich damals für mich behalten. Durch zahlreiche Telefonate - man war zu jener Zeit noch in keinerlei Hinsicht so gut vernetzt wie heute - und Nachfragen beim Kreiswehrersatzamt fand mein Onkel buchstäblich auf den letzten Drücker heraus, in welchem Kaff in welcher Kaserne ich mich herumtrieb.
Ich wurde umgehend in einen Iltis gesetzt und zum Bahnhof chauffiert. So kam ich noch rechtzeitig zur Beerdigung in Köln an, sonst hätte ich auch die noch verpaßt. Das würde mich wurmen, auch heute noch.
Dein Vater wird heute Achtzig, wo auch immer er jetzt sein mag, und der Todestag meines älteren Bruders liegt heute exakt ein Vierteljahr zurück. Er stand nachts auf, um ins Arbeitszimmer zu gehen - ist wohl eine Familienangewohnheit, ich tu das auch manchmal mitten in der Nacht - und erreichte selbiges nicht mehr, weil er auf dem Weg dorthin umfiel, Herzinfarkt. Kurz und schnell, so soll es sein, wenn auch etwas früh mit Zweiundsechzig - aber Deinen Vater erwischte es ja noch zwölf Jahre eher. Vielleicht trinken beide gerade ein Bierchen zusammen; mein Bruder war allerdings kein Kölsch-, sondern Pilsliebhaber. Uwe Helmut Grave
AntwortenLöschenDafür werden wir im Februar bei der Autorenkonferenz zusammen einen trinken.
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