Am 9. November 1992 machte die Kölner Musikszene mobil. Grund waren die mehrere Tage andauernden ausländerfeindlichen Ausschreitungen gegen Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen, gefolgt von ähnlichen Schanden in anderen Städten. Genauso schlimm wie die Gewalt der randalierenden Faschos fand ich die Applausbekundungen der sogenannten Normalbürger und das zurückhaltende, völlig inkompetente Auftreten der Polizei. Unter dem Motto Arsch huh, Zäng ussenander wollten Kölner Musiker damals ein Zeichen gegen Rassismus und Neonazis setzen. Mit dem enormen Zuspruch einer Teilnehmerzahl von 100.000 Menschen am Chlodwigplatz in der Kölner Südstadt hatte man nicht annähernd gerechnet. Köln machte tatsächlich mobil. Der Termin war nicht zufällig gewählt, sondern gedachte der Reichspogromnacht von 1938.
Nun, auf den Tag genau zwanzig Jahre später, wurde die Veranstaltung neu aufgelegt. Neben dem ursprünglichen Anliegen ging es diesmal generell um Ausgrenzung und die soziale Schieflage in diesem unserem Land, und wieder traten sämtliche Künstler selbstverständlich kostenlos auf. Ich unterstütze die Anliegen der AG Arsch huh, gerade in einer weltoffenen, toleranten Stadt wie Köln - beziehe das aber ausdrücklich nicht auf jugendliche Schlagetots in U-Bahnhöfen, Salafisten und andere radikalislamistische Gruppierungen oder Intensivtäter mit Migrationshintergrund. Die aber, nie vergessen, sind eine Minderheit, die weder Vorurteile noch Pauschalverurteilungen rechtfertigt, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt schon gar nicht. Eine Party für alle sollte die Veranstaltung sein, wurde betont, aber nicht nur das, sondern auch politische Veranstaltung und Kundgebung.
Die Veranstaltung fand heuer auf dem Gelände der Deutzer Werft statt, gleich am Rhein gelegen. Es füllte sich rasch, und schließlich kamen sage und schreibe 80.000 Menschen zusammen, junge und alte, um die Veranstaltung und die Ziele der Veranstalter zu unterstützen. Fast alle damaligen Musiker waren wieder dabei, dazu eine Menge anderer. Auch Kabarettisten und hochrangige Redner äußerten sich unmißverständlich. Unter ihnen waren Mariele Millowitsch und Elke Heidenreich, die einen Text von Karl Valentin über Fremde vortrugen, der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters, der Tatort-Kommissar Dietmar Bär, der besonders vor einem neu aufkommenden Rassismus in Fußballstadien warnte, der Schriftsteller Frank Schätzing und der Kabarettist Wilfried Schmickler mit seiner wohltuend kompromißlosen Art.
Sämtliche teilnehmden Musiker aufzuführen, würde zu weit führen, daher seien nur ein paar genannt. Als jüngste Band war Kasalla dabei, mit ihrem Hit Pirate die Shooting Stars der vergangenen Karnevalssession. Sie zeigten, daß sie auch richtig rocken können. Gerd Köster und Frank Hocker warteten wie viele ihrer Kollegen mit einem neuen Stück auf, das speziell für diese Veranstaltung geschrieben worden war. Zeltinger und Brings waren vertreten, Tommy Engel sang mit seinen Söhnen Du bess Kölle. Die Höhner, seit jeher engagiert in sozialen Projekten wie der Obdachlosenhilfe, spielten ihr Anti-Nazi-Lied Wann jeiht der Himmel wieder op und ihre Interpretation des Bürgerlieds von 1845. Die Bläck Fööss, ebenfalls viel karitativ tätig, spielten ihr Lied von der Schäl Sick, wo das Ganze stattfand, und In unserem Veedel. In unseren Veedeln (also unseren Kölner Stadtvierteln) wird, wie Erry von den Fööss treffend feststellte, seit jeher integrative Arbeit durch nachbarschaftliche Beziehungen geleistet.
Gemeinsam spielten die Fööss mit Wolfgang Niedecken, Peter Brings und Klaus dem Geiger das neue Stück Dreckelige ahl Stadt, dann sagte Peter Rüchel BAP an, mit denen ihn ein langer Weg verbindet. BAP brachten die ganze Veranstaltung mit Kristallnaach auf den Punkt, und vor Amerika bedankte Wolfgang Niedecken sich bei all jenen, die 1945 »diese Stadt vom Faschismus befreit haben«. Danach kam das große Finale, als sämtliche Musiker die Bühne betraten. Unter ihnen auch der kölsche Grieche Nick Nikitatis, der 1992 zusammen mit Niedecken das Mottolied Arsch huh, Zäng ussenander geschrieben hatte. Das spielten sie nun alle zusammen, und danach noch Unsere Stammbaum von den Bläck Fööss, so etwas wie eine inoffizielle Kölner Hymne, die davon handelt, daß wir alle, die wie heute in dieser Stadt leben, auf fremden Wurzeln beruhen.
Vorbei waren fünf Stunden Programm in pfeifendem Wind, und sie waren schnell vorbeigegangen. Ich war nie stolz auf dieses Land - warum auch? -, obwohl ich keinen anderen Paß haben möchte, aber an diesem Abend war ich endlich mal wieder stolz auf meine Vaterstadt.
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