Der Dokumentationsfilm "HEINZ FLOHE - Der mit dem Ball tanzte" war seit längerem angekündigt, nun ist er endlich erschienen. Ich habe ihn mir mit großen Erwartungen zu Gemüte geführt und war - soviel vorweg - beeindruckt. Beeindruckt zum einem von dem Dokumentarfilm an sich, beeindruckt ebenso von Szenen aus dem Fußballerleben des Heinz Flohe, die mir nach so vielen Jahren nicht mehr in Erinnerung waren. Dabei war Flocke, wie er in Köln liebevoll genannt wurde, eines meiner großen Idole auf dem Fußballplatz.
Der rund eindreiviertel Stunden lange Film beginnt mit einem fast erratischen Bildersturm sekundenlanger Szenen, einem Zusammenschnitt dynamischer Eindrücke, in deren Mittelpunkt der geniale Ballartist steht. Man sieht Heinz Flohe bei einem Sololauf im Trikot der Nationalmannschaft, mit der Meisterschale auf dem Balkon des Kölner Rathauses, beim Erzielen eines Wahnsinnstores, das alte Müngersdorfer Stadion aus der Vogelperspektive, Flocke bei Hacke-Spitze-Tralala auf dem Trainingsgelände des 1. FC Köln, dann weitere Tore, im Trikot des FC und in dem der deutschen Auswahl.
Eine Stimme aus dem Off erklingt: "Heinz Flohe hat den deutschen Fußball mit seiner Kreativität revolutioniert. Vor ihm bestand das Dribbeln vorwiegend aus links Antäuschen und rechts Vorbeigehen. Er ging als erster wesentlich weiter. Flohe war ein Pionier in Sachen Spielkunst. Jenseits des Rheinlands ist das vergessen. Wenn die Großen des deutschen Fußballs aufgezählt werden, kommt er selten vor. Zu unrecht. Dieser Film dokumentiert das Leben des Heinz Flohe."
Und wie er das tut! Die Dokumentation zeichnet das Leben des gebürtigen Euskircheners von seiner Kindheit bis zu seinem tragischen Tod 2013 nach. Zwei Dinge begleiteten Flocke dabei, die großen Triumphe ebenso wie bittere Momente und tragische Schicksalsschläge. Passend ist daher der Untertitels des Films gewählt: "Ein Leben zwischen Triumph und Tragik."
Heinz Flohe war mit technischen Fähigkeiten gesegnet wie nur wenige Fußballspieler seiner Zeit. Als er bereits 1966 von seinem Heimatverein TSV Euskirchen zum 1. FC Köln wechselte, konnte noch niemand in ganzer Tragweite ahnen, welch ein Glücksgriff das für den FC war. Genial am Ball und von seiner Spielanlage her, bildete er in den kommenden Jahren zusammen mit Wolfgang Overath eines der besten Mittelfeldduos in Deutschland, später zusammen mit Herbert Neumann.
Bei den Einschätzungen darüber, was wäre, wenn Heinz Flohe heute spielen würde, wird gemutmaßt, er stände bei Real Madrid oder dem FC Barcelona unter Vertrag. Sein ehemaliger Mannschaftskamerad Jupp Kapellmann sagt, heute würde Flocke die Hundert-Millionen-Euro- oder grundsätzlich jede Transfergrenze bei den Ablösesummen sprengen. Gewagte Aussagen vielleicht, aber sie zeigen die Wertschätzung, die er genoss und auch zwei Jahre nach seinem Tod noch genießt. Zahlreiche fußballerische Weggefährten kommen in der Doku zu Wort. Unumstrittene Fußballgrößen wie Franz Beckenbauer, Jupp Heynckes und Günter Netzer äußern sich in höchsten Tönen über den vollendeten Künstler am Ball. Netzer, für mich einer der größten deutschen Spieler überhaupt, schwärmt über Flohe: "Er ist so unglaublich gut gewesen, hat Dinge gemacht, die sonst keiner von uns konnte, auch die ganz großen Spieler Deutschlands nicht." Beckenbauer bezeichnet ihn gar als einen der besten Techniker der Welt.
Diese Fähigkeiten sind in dem Film in zahlreichen Ausschnitten zu bewundern. Übersteiger, Finten, geniale Dribblings und Tricks mit unglaublicher Kreativität kennzeichneten nicht nur einen überragenden Einzelspieler, sondern zudem den spielfreudigen Spielführer, der die ganze Mannschaft mit riss und den 1. FC Köln zu seinem größten Triumph führte. Er war dreifacher Gewinner des DFB-Pokals, Weltmeister 1974, Vize-Europameister 1976 und stand im Aufgebot des WM-Kaders 1978.
Auf dem Höhepunkt seiner Kunst war Heinz Flohe 1978. Unter Hennes Weisweiler war er zum absoluten Führungsspieler gereift. In einer Saison, in der er als Mannschaftskapitän, Spielführer, Einzelakteur, Torvorbereiter und Torschütze gleichsam einer außergewöhnlichen Kölner Elf voranging, führte er den 1. FC Köln zum Gewinn des Doubles. Es wurde nicht nur der schon 1977 errungene Pokal verteidigt, sondern auch zum dritten Mal die deutsche Meisterschaft nach Köln geholt. Beim Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem punktgleichen Verfolger aus Mönchengladbach traf Flohe auch in den letzten beiden entscheidenden Saisonspielen gegen den VfB Stuttgart und in Hamburg beim FC St. Pauli. In jener Saison stand ich bei sämtlichen Heimspielen in der Südkurve und durfte einen herausragenden Fußballspieler bewundern.
Doch nicht erst seit diesem Jaht und nicht nur wegen des außergewöhnlichen Triumphes wurde Flocke in Köln verehrt und, mehr noch, von den Fans geradezu geliebt. Er war das, was man in der Domstadt einen "Jung us em Lääve" nennt. Er war einer wie du und ich und seiner Zeit nicht nur fußballerisch voraus, sondern auch in seinem Umgang mit den Fans. Für Heinz Flohe, von seinen Freunden "Hein" gerufen, waren alle gleich, und die von ihm gelebte Fannähe war damals mehr Ausnahme als Selbstverständlichkeit. Starallüren waren ihm fremd.
Das wurde auch in seiner Außendarstellung deutlich. Interviews gab er nicht gern. Nicht etwa aus Überheblichkeit, sondern weil er in sich gekehrt wirkte. In dem Film sieht man ihn als Gast im "Aktuellen Sportstudio", nach dem Erringen des Doubles, wo er beinahe schüchtern rüberkommt. Denn er stand nicht gern im Mittelpunkt, es sei denn auf dem Fußballplatz, wo er aus sich herausging und ein anderer Mensch zu sein schien. In der heutigen Medienlandschaft, in der Fußballstars auf Schritt und Tritt unter Beobachtung stehen, kaum vorstellbar.
Das Jahr seines größten Triumphs, 1978, wurde auch zum Jahr des ersten Schicksalsschlags. Hatte er bis dahin aus mir unverständlichen Gründen keinen Stammplatz in der Nationalmannschaft innegehabt, stand er im Aufgebot für die Weltmeisterschaft in Argentinien und erwies sich auch dort als absoluter Führungsspieler. Legte er noch gegen Mexico eine glänzende Partie hin, zog er sich im Spiel gegen Italien eine Verletzung zu, die für ihn das WM-Aus bedeutete. Was danach, ohne Heinz Flohe, geschah ist bekannt. Es folgte die so genannte Schmach von Cordoba mit der Niederlage gegen Österreich, die zugleich Deutschlands Ausscheiden aus dem Turnier bedeutete.
Die Verletzung hinterließ ihre Spuren. Flockes Karriere in der Nationalelf war beendet, und im Folgejahr trumpfte er auch in der Bundesliga nicht mehr so auf wie früher. Getrieben von allzu großem Ehrgeiz, kurierte er seine Verletzung nie richtig aus. Er hatte weiterhin geniale Momente, doch er wurde nicht mehr zu dem überragenden Spieler wie im Jahr des Double-Gewinns. Nach einem negativen Zwischenfall beim Auswärtsspiel in Hamburg wurden er und Herbert Neumann von Hennes Weisweiler aus dem Team geworfen, woraufhin Heinz Flohe zu den damals in der Bundesliga spielenden Blau-Weißen von 1860 München wechselte, wohl die größte Fehlentscheidung, die der FC jemals getroffen hat.
Für Flocke dauerte das Intermezzo bei den Löwen nicht lange. Beim Spiel gegen den MSV Duisburg wurde er von Paul Steiner dermaßen brutal gefoult, dass er sich nicht nur einen komplizierten Schien- und Wadenbeinbruch zuzog, sondern auch Nervenschäden im Bein, an denen er noch lange laborieren sollte. Die Karriere des großartigen Ballkünstlers war beendet. So wie viele andere Kölner Fußballfans habe ich nie verstanden, dass der FC mit Paul Steiner später den Mann für die Abwehr verpflichtete, der für die Tragödie von Flockes Aus als Tänzer mit dem Ball verantwortlich war.
Heinz Flohe selbst nahm es dem FC nicht übel, zumindest mit einigem Abstand nicht. Er besuchte die Heimspiele des FC und kehrte später sogar als Co-Trainer zu den Geißböcken zurück. Die Tragik seines Lebensweges setzte sich fort, als er sich nach 1992 Anfang des Jahres 2004 einer zweiten Herzoperation unterziehen musste, bei der ihm eine neue Herzklappe eingesetzt wurde. 2010 brach er nach einem Schwächeanfall zusammen und wurde in ein künstliches Koma versetzt, aus dem er nicht mehr aufwachte. Bis zu seinem Tod 2013 lag er im Wachkoma.
Bei den Kölner Fußballanhängern ist Heinz Flohe als einer der ganz Großen unvergessen. Der zu Herzen gehende Dokumentarfilm ist eine wunderbare Würdigung eines herausragenden Ballkünstlers und außergewöhnlichen Menschen. Wie zu Beginn erwähnt, hat der Film mich sehr beeindruckt - und gleichermaßen bewegt. Angesichts von Flockes traurigem Schicksal hatte ich beim Ansehen mit der einen oder anderen Träne zu kämpfen, und ich bildete mir ein, wieder 1978 in der Südkurve zu stehen und Heinz Flohe und den FC auf der Zielgeraden zum Gewinn des Doubles zu begleiten.
Auch der 1. FC Köln würdigte Flockes große Verdienste um den Verein. Der FC gründete 2013 die "Fußballschule Heinz Flohe" und errichtete im Oktober 2014 vor der Südtribüne des Müngersdorfer Stadions eine Bronzestatue des Mannes, der dem Verein zwölf Jahre lang treu gewesen war und ihn zu seinem größten Triumph geführt hatte. Beim jährlich stattfinden internationalen Fußballfilm-Festival 11mm erreichte "HEINZ FLOHE - Der mit dem Ball tanzte" 2015 den zweiten Platz beim Publikumspreis und wurde damit als bester deutscher Film in dieser Kategorie ausgezeichnet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen