Ich war skeptisch, ob es funktionieren würde, den Sherlock Holmes des viktorianischen Zeitalters ins London der Jetztzeit zu transportieren. Da wird mit Handy gearbeitet, mit GPS-Systemen und was der Dinge mehr sind, und Holmes raucht nicht, sondern benutzt Nikotinpflaster. Eigentlich ist das gewöhnungsbedürftig, doch diese Aktualisierungen nimmt man rasch als gegeben hin, weil die Geschichte rasend schnell in Fahrt kommt und die Handlung stetig vorangetrieben wird. Die BBC hat, soviel vorweg, mit ihrer Serie eine tolle Geschichte aus der Taufe gehoben.
Gleich die anfängliche Viertelstunde brilliert mit einem Feuerwerk holmescher Beobachtungsgabe, seines analytischen Verstandes und seiner Fähigkeit der Deduktion. Aus winzigsten Hinweisen, die der Polizei entgehen, leitet er seine einleuchtenden Schlüsse ab, was man als Zuschauer mit Staunen und großen Augen verfolgt. Das habe ich in der Kinoverfilmung mit Robert Downey jr. über weite Strecken vermißt. Auch der gute Watson ist völlig perplex, bevor das Spiel überhaupt beginnt.
Der mir vorher nicht bekannte Benedict Cumberbatch liefert eine glänzende Interpretation des größten aller Detektive. Obwohl jugendlicher angelegt als die Darstellungen Basil Rathbones oder Jeremy Bretts, besticht er durch die dem literarischen Holmes eigene Zielstrebigkeit, durch dessen gedankliche Gewandtheit und sein forsches, schier aufaufhaltsames Vorgehen. Hinzu kommt ein ebenfalls überzeugender Martin Freeman, der einen aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrten Veteran Doktor John Watson verkörpert. Sein Watson schreibt auch, bzw. soll das tun, doch er gibt nicht ausschließlich den sattsam bekannten Biographen Holmes', sondern einen Versehrten, den seine Therapeutin dazu drängt, seine Kriegserlebnisse in einem Internet-Blog zu verarbeiten.
Detective Inspektor Lestrade, der glücklicherweise ebenfalls nicht als Dummkopf gezeichnet wird, legt großen Wert auf Holmes' Mitarbeit. Andere Polizisten sehen in Sherlock einen Psychopathen, von dem man sich besser fernhält, er selbst kontert diese Bezeichnung, indem er sich dann einen funktionalen Soziopathen nennt. Überhaupt wartet Cumberbatch mit jener gehörigen Portion Arroganz auf, die ich Holmes aus der literarischen Vorlage immer unterstellte. Auch Menschen in seiner nächsten Umgebung, wie beispielsweise Watson, bezeichnet er als Idioten, weil das "im Grunde alle sind" - er selbst natürlich ausgenommen. Seine gut platzierten Aussprüche verbinden den typisch trockenen englischen Humor mit purem Zynismus. Die Dialoge sind glänzend und pointiert. Zwar kenne ich die Originale nicht, habe aber den Eindruck, daß durch die Synchronisation nichts verloren gegangen ist.
Die drei neunzigminütigen Folgen der 1. Staffel Ein Fall von Pink, Der blinde Banker und Das große Spiel sind inzwischen auf DVD erhältlich. Die Fälle sind vielschichtig, bedienen sich aber nicht der Geschichten Arthur Conan Doyles. Abgesehen von der abweichenden Epoche, in der sie spielen, könnten sie aber durchaus von Doyle stammen. Ein größeres Kompliment kann man den produzierenden Autoren Steven Moffat und Mark Gatiss kaum machen.
Die zweite Staffel wurde in England bereits ausgestrahlt. Diese drei Fälle beruhen auf Originalgeschichten Arthur Conan Doyles. Ich freue mich schon darauf. Eine schöne Nachricht ist die Bekanntgabe der BBC, inzwischen eine dritte Staffel in Auftrag gegeben zu haben.
Wenn ich mit der Kinoversion auch nicht wirklich warm wurde, habe ich mir die DVD gleich bestellt. Liest sich sehr spannend.
AntwortenLöschenDanke für den Tipp.